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Internationale Rote Liste der IUCN

Unsere „Gemeine Kuhschelle“ steht drin

Dienstag, 16. Januar 2018, 06:37 Uhr
Glücklicherweise „schaffen“ es derzeit nur wenige einheimische Pflanzen- und Tierarten auf die Rote Liste gefährdeter Arten der Internationalen Naturschutzunion IUCN, also der Roten Liste unseres Planeten. Eine unserer heimischen Kuhschellen, die auch im Landkreis Nordhausen und im Kyffhäuserkreis nachgewiesene Gemeine Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris) ist leider dort zu finden.

Gemeine Kuhschelle (Foto: Bodo Schwarzberg) Gemeine Kuhschelle (Foto: Bodo Schwarzberg) Die einheimische Gemeine oder Gewöhnliche Kuschelle (Pulsatilla vulgaris) wird in der globalen Roten Liste der internationalen Naturschutzunion IUCN als "potenziell gefährdet" geführt (2016).

2016 enthielt die „IUCN red list“ rund 93.000 Arten, die mehr oder minder gefährdet oder schon ausgestorben sind, von der bedrohtesten Großsäugerart, dem Nördlichen Breitmaulnashorn, bis zur Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte (Melomys rubicola), die seit 2016 als „Extinct“, also als ausgestorben geführt wird.

Während das Nördliche Breitmaulnashorn der hemmungslosen Nachfrage nach dem Horn der Tiere und damit unmittelbar den mörderischen Gesetzen des Marktes zum Opfer fiel, gilt die kleine Ratte als erstes Säugetier, das der menschgemachte Klimawandel auf dem Gewissen hat. Das Inselchen am Nordrand des Great Barrier-Riffs, auf dem die Ratte endemisch war, wurde immer öfter von schweren Strurmfluten heimgesucht und dadurch die letzten geschätzt 50 Ratten wahrscheinlich einfach ins Meer gespült. Der steigende Meeresspiegel fordert seinen Tribut.

Dass das weltweite Artensterben auch vor Deutschland nicht Halt macht, sehen wir vor unserer Haustür: Gipsabbau, intensive Landwirtschaft und Bodenversiegelung tragen ebenso dazu bei, wie die ansteigenden Durchschnittstemperaturen und die zunehmenden Wetterextreme.

Dennoch war ich erstaunt, dass auch unsere Gemeine Kuhschelle in der Roten Liste der IUCN angekommen ist, wohlgemerkt, es stehen nur 93.000 Arten aus der ganzen Welt darin und es gibt schätzungsweise allein 350.000 Arten der so genannten Samenpflanzen. Zwar dürfte es kaum eine so unvollständige Rote Liste wie die der IUCN geben: Das liegt schon daran, dass viele Arten den menschlichen Aktivitäten schon zum Opfer fallen, bevor sie überhaupt wissenschaftlich beschrieben wurden. Auch die international teils unterschiedlich gebrauchte systematische Einstufung der Arten sorgt hier für Verwirrung und die von vielen „wahrscheinlich“ weltweit bedrohten Arten fehlenden Daten ebenso. Dennoch beeindruckte mich die Information zu unserer heimischen Kuhschellenart sozusagen auf internationalem Parkett.

In der IUCN red list wird sie als „near threatened“ (NT), also als „potenziell gefährdet“ geführt, und das ist ein gewaltiges Alarmsignal, ja ein Symbol für unsere gesamte heimische Biodiversität – auch im Landkreis Nordhausen. Den Angaben der IUCN zufolge ist Pulsatilla vulgaris offenbar erst seit 2014 in der globalen Roten Liste verzeichnet, doch bereits JÄGER & HOFFMANN von der Universität Halle bezeichneten die Art in ihrer Arbeit „Schutzwürdigkeit von Gefäßpflanzen aus der Sicht der Gesamtareale“ von 1997 als „weltweit gefährdet“.

Als Ursachen werden von der IUCN die Veränderungen der Habitatqualität und das Weidemanagement angegeben sowie die Fragmentierung der Populationen.

Im Landkreis Nordhausen waren schon früher nur wenige Gebiete bekannt, in denen die in Halbtrockenrasen und Trockenrasen sowie lichten Kalkkiefernwäldern siedelnde Art vorkam: Die Botaniker VOCKE & ANGELRODT geben sie in ihrer Flora von „Nordhausen und der weiteren Umgegend“ von 1886 als „stellenweise häufig“ und unter anderem vom Kohnstein, von Steigerthal, Stempeda, und für den heutigen Kyffhäuserkreis für Badra sowie Frankenhausen und Sondershausen an, bei letzteren beiden als häufig.

Im Landkreis Nordhausen ist sie gegenwärtig wahrscheinlich nur noch an vier Wuchsorten im Raum Nordhausen sowie noch etwas häufiger im kyffhäusernahen Gebiet präsent. Der Bestand am Kohnstein dürfte ein Opfer des Gipsabbaus geworden sein, weitere fielen wohl der Aufgabe der Hütehaltung von Schafen und Ziegen sowie der Wiederbewaldung unserer Kulturlandschaft zum Opfer. Für das Kyffhäusergebiet mit seinen ausgedehnten Xerothermrasen können noch heute zahlreiche Fundstellen kartiert werden. BARTHEL und PUSCH bezeichnen sie in ihrer „Flora des Kyffhäusergebirges und der näheren Umgebung“ (1999) als „zerstreut“ vorkommend.

Auf der Seite floraweb.de des Bundesamtes für Naturschutz wird die Art als in Teilen Mitteleuropa „stark zurückgehend“ bezeichnet. Thüringen ist einer der deutschen Verbreitungsschwerpunkte der Gemeinen Kuhschelle, die von Nord- über Mittel- bis Südosteuropa gefunden wird, also nur in einem kleinen Areal. Deutschland nimmt demnach, das kennzeichnet dessen hohe Verantwortlichkeit, bis zu einem Drittel dieses Areals ein.

Anhand der vier Bestände der Gemeinen Kuhschelle im Raum Nordhausen lassen sich die Angaben IUCN zu den Gefährdungsursachen leider nachvollziehen: Die Internationale Naturschutzunion gibt Veränderungen im Weidemanagment als eine Rückgangsursache an: Zwei der vier Bestände unterliegen einer Beweidung mit Rindern, die zwar vordergründig zu einem Offenhalten der Trocken- und Halbtrockenrasen führt, aber der Verschlechterung der für sie notwendigen Habitatqualität über mehrere Jahre gesehen, kaum etwas entgegensetzen kann. Denn die Rinder verbeißen die Sträucher nicht, die sich trotz Beweidung, bzw. noch durch diese verstärkt, entwickeln und sie sorgen besonders an flachen und feuchten Stellen in Koppelhaltung für eine Nährstoffanreicherung. Ein gelegentliches Mulchen des Neuaustriebs im Winter fördert den Neuaustrieb und die flächige Ausbreitung im Folgejahr weiter, mit der Folge, dass konkurrenzschwache Arten, wie die Kuhschelle, verschwinden. Das Mulchen führt zudem zu einer Art biologischer Bodenversiegelung, so dass die Samen vieler in unseren Naturschutzgebieten zu schützenden Arten keine Keimmöglichkeit mehr haben.

Mitglieder des BUND-Kreisverbandes mähen die beiden Bestände einmal jährlich nach, und das möglichst während der Vegetationsperiode, wenn die Schädigung der Sträucher maximal ist. Es klappt nicht immer im Sommer, aus Zeitgründen, da wir ehrenamtlich tätig sind.

Die beiden anderen Bestände unterlägen ohne ehrenamtliche Hilfe der von der IUCN angegebenen negativen Veränderung der Habitatqualität durch fehlende Nutzung. Der eine Bestand wird von Mitgliedern und Freunden des BUND-Kreisverbandes seit 2010 offengehalten, der andere, mit rund 300 Exemplaren auf nur wenigen Quadratmetern, seit 2017.
Das Grundproblem bei beiden Beständen liegt in der kaum bestehenden Möglichkeit, diese in eine artverträgliche Wirtschaftsweise einzubeziehen und dadurch zu erhalten. Kein Landwirt würde heute mehr solche Splitterflächen mähen oder mit Schafen und Ziegen beweiden, es sei denn. Ja, es sei denn, man fördert sie ausreichend und man macht die Tätigkeit hütender Schäfer wieder finanziell attraktiv. Die Fragmentierung der noch bestehenden Populationen, die die IUCN angibt, wird auch dadurch verursacht, dass es die Schäfer nicht mehr gibt, die sie mit ihren Schafen sozusagen verbinden und für den arterhaltenden Genaustausch zwischen den Teilpopulationen sorgen.

Das Land Thüringen aber hat bezüglich der Schäfer 27 Jahre verschlafen. Einer der letzten im Landkreis Nordhausen tätigen traditionellen Schäfer schätzte, dass es noch 1990 zehntausende Schafe allein in Nordthüringen gab. Viele LPGs hielten sich eine Herde. Heute kann man die Herden wohl an zwei Händen abzählen. Erst jetzt erkennt man zumindest scheinbar, dass die Beschlüsse zur Erhaltung der Biodiversität auf Landes- Bundes-, EU- und weltweiter Ebene bei uns, wenn überhaupt, kaum ohne eine Renaissance der Schafhaltung und eine entsprechende Förderung auch nur annähernd umgesetzt können. Ein grundsätzlich typisches Verhalten der Politik im Umweltbereich, das uns und unsere Nachfahren noch existenzielle Probleme bereiten dürfte.

Hinzu kommt nicht selten ein zu geringes, ein zu flächen- und nicht biodiversitätsbezogenes oder einfach zu wirtschaftsnahes und wirtschaftlich orientiertes Verhalten der zuständigen Naturschutzbehörde und Landschaftspflegeverbände, bei denen wir immer den Eindruck haben, wie müssten uns für unseren Einsatz zugunsten der Arten noch entschuldigen.

All dies kann man durchaus aus der Einschätzung der IUCN zum Gefährdungsgrad der Gemeinen Kuhschelle und aus eigenen Erfahrungen herauslesen, weil diese ja Ursachen hat, die interpretiert werden wollen.

Letztlich sind es die so genannten wirtschaftlichen Zwänge auf politischer und unternehmerischer Ebene, die wie eine Krebsgeschwulst fast jede institutionelle Entscheidung durchdringen und die letztlich einen global wirksamen Artenschutz verhindern.

Beim Kalifornischen Schweinswal, von dem es weltweit noch geschätzt 30 Exemplare gibt, sind es die Gewinnwünsche von mexikanischen Fischern, die mit ihren Stellnetzen eine mittlerweile durch ihr eigenes Handeln vom Aussterben bedrohte Fischart fangen wollen, weil diese wiederum auf dem asiatischen Markt exorbitante Profite einbringt. Die letzten Kalifornischen Schweinswale derweil ertrinken in ihren Netzen.
Bodo Schwarzberg
Autor: red

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