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Mi, 13:45 Uhr
04.05.2022
Praxiserfahrung für Regelschüler

Der polytechnische Ansatz ist zurück

Grau ist alle Theorie. Wer Schülerinnen und Schülern vermitteln will, wie es in einem Berufsfeld zugeht und wofür sie all das Schulwissen später einmal brauchen können, tut gut daran die Kinder auch einmal Praxisluft schnuppern zu lassen. In Nordthüringen hat man dafür jetzt den polytechnischen Ansatz vergangener Tage wiederentdeckt…

Polytechnischer Unterricht in Karl-Marx-Stadt (1989) (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-0605-015 / CC-BY-SA 3.0) Polytechnischer Unterricht in Karl-Marx-Stadt (1989) (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-0605-015 / CC-BY-SA 3.0)


"Es war ja nicht alles schlecht" - man mag von diesem etwas abgetragenen Satz halten was man will, es schwingt ein Stückchen Wahrheit mit. Das nicht alles was alt ist, per se unbrauchbar ist, hat man auch beim „Kampf um die Köpfe“ in Nordthüringen erkannt. Zusammen mit 120 Unternehmen haben die Agentur für Arbeit, die Industrie- und Handelskammer und die Kreishandwerkerschaft das polytechnische Modell aus DDR-Tagen aus der Mottenkiste geholt und für die Bedürfnisse dieser Tage angepasst.

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Im Moment läuft ein entsprechender Feldversuch unter dem Namen "Tag in der Praxis" mit drei Regelschulen aus Nordhausen, Leinefelde und Sondershausen. Statt wie früher ganze Klassenzüge in die Betriebe zu schicken, besuchen die Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen jetzt immer Mittwochs individuell ein Unternehmen, bei dem sie sich beworben haben. Nach drei Monaten wird gewechselt, sodass über das Schuljahr vier Praktika zusammenkommen.

Bisher fällt die Bilanz der „ersten Runde“ positiv aus, auch die der Wohnungsbaugenossenschaft Südharz. Seit der Wende konnte man 42 Fachkräfte ausbilden, von denen 25 übernommen wurden und 21 bis heute im Unternehmen sind. Früher hatte man bei den Bewerbern die Qual der Wahl, doch heute hat sich die Situation gedreht. Mit 20 eingegangenen Bewerbungen steht die Genossenschaft noch gut da, doch es ist nur ein paar Jahre her, da konnte man aus über 40 Bewerbungen wählen.

Bei der WBG sind die ersten Erfahrungen mit dem "Tag in der Praxis" positiv - v.l.: Steffen Loup, Karsten Froböse und Sven Dörmann  (Foto: agl) Bei der WBG sind die ersten Erfahrungen mit dem "Tag in der Praxis" positiv - v.l.: Steffen Loup, Karsten Froböse und Sven Dörmann (Foto: agl)


Man muss also etwas tun, um die besten der jungen Köpfe für sich zu gewinnen. Dass man dabei schon in Klasse 8. anfängt, ist auch für die WBG neu, erzählt Steffen Loup, üblicherweise ging man bisher eher auf die älteren Schülerinnen und Schüler zu. Die Integration der jüngeren Besucher habe aber gut funktioniert, da man auf ein gutes Ausbilderteam mit viel Erfahrung zurückgreifen könne.

Immer mittwochs verbringen die Schulkinder nun sechs Stunden im Unternehmen und dürfen in die einzelnen Geschäftsbereiche hineinschuppern. „Die meisten denken, bei der Wohnungswirtschaft geht es allein um „mieten, kaufen, wohnen“, zumindest ist es das, was man von den jungen Leuten so hört. Aber mit Verwaltung, Instandhaltung oder auch der sozialen Betreuung lernen sie schnell, dass es um deutlich mehr geht“, berichtet Loup gestern Nachmittag.

So päraxisnah wie möglich soll es zugehen und das beginnt nicht erst beim Besuch im Unternehmen. Im Vorfeld müssen sich die Schülerinnen und Schüler bei ihrem Wunschbetrieb für den „Tag in der Praxis“ bewerben, wobei dieser Weg in beide Richtungen führt. Denn schließlich müssen auch die Unternehmen zusehen, dass sie bei den jungen Leuten Anklang finden.

Bei der WBG stehe man für die nächste Runde bereit, sagt Vorstand Sven Dörmann. „Tatsächlich haben wir bereits in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass diejenigen Auszubildenden, die schon einmal ein Praktikum bei uns gemacht haben und wissen, was auf sie zukommt, auch die Leistungsträger in ihrem Jahrgang sind“, so Dörmann. Der Praxistag könnte also auch eine Möglichkeit sein, die leidige Abbrecherquote im Ausbildungsmarkt in den Griff zu bekommen.

Dafür müsste man das Pilotprojekt allerdings breiter als bisher aufstellen. In den größeren Städten der Region sei das keine Schwierigkeit, meint Karsten Froböse, Leiter der Nordhäuser Arbeitsagentur. Je weiter man jedoch „auf’s Land“ hinaus geht, desto kniffliger werden die logistischen Probleme. Die Schüler der Lessing-Schule und die Geschäftsstelle der WBG trennen nur zehn Minuten Fußweg. Sobald Bus und Bahn ins Spiel kommen, wird es schwieriger. Der Rückgriff auf das Alte ist noch vergleichsweise jung und wurde erst nach den Winterferien ins rollen gebracht. Gut möglich also, dass man auch für diese Hürden praktikable Lösungen finden wird und bald mehr Schülerinnen und Schüler regelmäßig Praxisluft schnuppern können.
Angelo Glashagel
Autor: red

Kommentare
Paulinchen
04.05.2022, 14.07 Uhr
Tja - von...
... der DDR lernen, heißt siegen lernen oder so ähnlich? Wichtig dabei ist eben nur, es muss genügend Zeit vergangen sein, bevor man Dinge aus der Zeit der ehemaligen DDR wieder aufgreift, sonst denkt vielleicht jemand, dass es in der Tat gut war oder nicht vielleicht doch ohne Quatsch zumindest nicht ganz so schlecht? Aber das kann ja nicht sein, denn es heißt ja jetzt Praktikum. ;-))
Kitty Kat
04.05.2022, 17.32 Uhr
Damals war's
Ja ja, so manches kommt wieder hervor aus der Versenkung, wird bestaunt und als Neuheit angepriesen...man klopft sich auf die Schulter als hätte man es erfunden. Die Menschen haben auch zu Zeiten vor 1990 durchaus schon selbstständig denken können, wer hätte das gedacht *lol*.
Kitty Kat
04.05.2022, 17.36 Uhr
Damals war's
Ja ja, so manches kommt aus der Versenkung wieder hervor, wird bestaunt und gern mal als neue Erfindung angepriesen.
Auch in den Jahren vor 1990 konnten die Menschen durchaus schon selbstständig denken, wer hätte das gedacht *lol*
Leser X
04.05.2022, 17.55 Uhr
Ich neige immer öfter dazu...
... diesen arg strapazierten Slogan wie folgt umzuwandeln: "Es war nicht alles gut"...
DDR-Facharbeiter
04.05.2022, 19.23 Uhr
Polytechnische Ausbildung bringt Ansehen und schützt vor Schmalspurdenken ohne Fakten.
Polytechnische Ausbildung bringt Ansehen, aber auch Geld und erweitert den Horizont.
Sie kann mehr Ansehen im Beruf, aber auch im Privatleben bringen..
Schüler "ohne zwei linke Hände" werden in den Betrieben und Verwaltungen gern in den Schulferien eingestellt und gut bezahlt.
Im häuslichen Leben kann man kleine Reparaturen selbst ausführen.
Man muss nicht um einen Handwerker betteln und teure Fahrkosten bezahlen.
In einem technischen Beruf kommt man mit manueller Geschicklichkeit schneller an die bessere Arbeitsstelle.
In allen technisierten Armeen der Welt werden Kfz-Schlosser, IT-Techniker und Köche möglichst nicht an die Front geschickt, weil sie unersetzbar sind. Sie sind so wertvoll, dass man ihnen beibringt, wie man sich ungesehen zur eigenen Truppe durchschlägt, wenn sie mal versprengt werden. Polytechnische Ausbildung kann vor Schmalspurdenken ohne belegbare Fakten bewahren.
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