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Lichtblick

Von Hirten und Schafen

Sonntag, 15. April 2018, 08:56 Uhr
Heute ist es endlich soweit. Die Wochen des Wahlkampfes gehen zu Ende. Und nach der Auszählung der Stimmen werden wir wissen, welche Versprechen am meisten gezündet haben und wer künftig auf den Chefsesseln in den Rathäusern und im Landratsamt Platz nehmen wird – oder zumindest wer in die zweite Runde der Wahlauseinandersetzung einzieht...


Die Anforderungen, die an Politiker gestellt werden sind immens: bürgernah, kompetent, glaubwürdig, versöhnend, tatkräftig und möglichst visionär. Und die Kandidatinnen und Kandidaten stoßen selbst in dieses Horn, wenn sie sich auf den Wahlplakaten als die oder der Beste präsentieren.

Was mir in diesem Konzert der Erwartungen und Versprechungen zu kurz kommt, ist die Eigenverantwortung von uns allen – den Bürgerinnen und Bürgern eines Landes, eines Landkreises oder einer Gemeinde. Lebt eine Demokratie nicht genau davon: Von eigenverantwortlichen und freien Menschen, die sich konstruktiv und gemeinschaftlich in Debatten einbringen und sich mit dafür engagieren, dass unser Gemeinwesen funktioniert?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder, der sich in einer Wahl um Verantwortung bewirbt, muss damit leben, dass ganz besonders auf sein Handeln, seine Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge geblickt wird. Aber ist es nicht wohlfeil auf „die da oben“ zu schimpfen, ohne sich selbst für andere und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu engagieren? Ist es nicht zu kurz gesprungen, die politisch Verantwortlichen und ihre Versäumnisse zu kritisieren, ohne zu fragen wo ich mich selbst mit meinen Erfahrungen und Begabungen einbringen kann, um selbst Dinge mit verändern zu können?

Heute werden in Thüringen nicht nur Landräte und Bürgermeister gewählt. Nein, am kommenden Sonntag gibt es in den evangelischen Kirchen auch die Möglichkeit intensiv über ein altes Gottesbild nachzudenken. Es ist ein Gottesbild, dass über Generationen hinweg vielen Menschen Trost und Halt geboten hat: Das Bild vom „Guten Hirten“. Die biblischen Autoren beschreiben mit diesem Bild das Verhältnis zwischen Gott und Mensch.

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“, heißt es im Psalm 23. Gott als Beschützer und liebevoller Versorger seiner Menschen. So wie ein Hirte seinen Schafen nachgeht und sich aufopferungsvoll um seine Herde kümmert, so kümmert sich Gott um seine Schöpfung und alle Menschen. Christinnen und Christen finden in dieser Vorstellung bis heute Kraft. Bis heute schöpfen Junge und Alte aus dieser Vorstellung neuen Mut. Gott ist bei dir. Er begleitet deinen Weg durch das Leben. Er versorgt, behütet und segnet dich.
Soweit so gut. Im Laufe der Zeit wurde diese Vorstellung von Gott auch auf die in der Kirche leitenden Personen übertragen. Pfarrer oder Pastorinnen gelten vielen bis heute als Hirten der christlichen Gemeinde (Pastor kommt vom lateinischen „pastor“ und heißt Hirte). Und damit ist eine ganze Menge an Erwartungen verbunden.

Barmherzig sollen sie sein und aufopferungsvoll. Demütig und freundlich. Vorbilder im Glauben und im Leben. Sie sollen das Schwache stärken, das Verlorene suchen und das Verwundete heilen. Das ist ein hoher Anspruch, den ich selbst als junger Pfarrer und viele meiner Kolleginnen und Kollegen jeden Tag versuchen einzulösen. Und es ist gut und richtig genau das von uns Pfarrerinnen und Pfarrern zu verlangen. Aber gilt hier nicht dasselbe, was ich eingangs von unseren Politikerinnen und Politikern gesagt habe? Gilt nicht auch in einer Kirchengemeinde, dass die Zukunft am besten gestaltet werden kann, wenn alle an einem Strang ziehen?

Ich habe persönlich meine Vorbehalte gegenüber diesem alten Bild vom guten Hirten. Ich kann diese Sehnsucht nach starken, aufopferungsvollen und kraftvollen Führungsfiguren verstehen, denn manchmal sehne ich mich selbst danach. Immer dann, wenn mir Kraft fehlt selbst Verantwortung zu übernehmen oder wenn ich in einer ausweglosen Situation keinen guten, neuen Weg erkennen kann. Aber ich sehe auch die Gefahr, die darin liegt, zu schnell nach einer zu starken Führungsperson zu rufen. Denn oft zerbrechen die Hirten an den Erwartungen ihrer Herde (und ihren eigenen Erwartungen und Zielen gleich mit). Und ich bin fest überzeugt davon, dass gutes Leben am besten dort gelingt, wo – um im Bild zu bleiben – Hirten und Schafe gemeinsam nach den besten Wegen zu fruchtbaren Weideplätzen suchen. Das gilt in der Kirche, das gilt in unseren Kommunen, Landkreisen und in unserer Gesellschaft insgesamt.

Wenn Sie heute in der Kirchenbank sitzen oder in der Wahlkabine stehen, dann denken Sie doch vielleicht einen kleinen Moment an das Bild vom Guten Hirten. Wir alle sind darauf angewiesen, dass die (politisch) Verantwortlichen ihren Pflichten gewissenhaft nachkommen. Und trotzdem muss da Platz für unsere eigene Verantwortung, für die Begabungen und Erfahrungen eines jeden Einzelnen sein. Zukunft gelingt dann am besten, wenn alle an einem Strick ziehen – davon bin ich fest überzeugt.

Ein gesegnetes und erholsames Rest-Wochenende wünscht,
Pfarrer Karl Weber, Sondershausen
Autor: red

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