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Bundespräsident Steinmeier zu Besuch in Nordhausen

Land in Sicht

Dienstag, 19. März 2019, 19:00 Uhr
In Nordhausen hatte sich heute hoher Besuch angekündigt. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier war zu Gast bei der Firma Schachtbau. Neben Fototermin und Werksrundgang sollte es vor allem um die Vergangenheit der Region und des Betriebes gehen, die ein mahnendes Fallbeispiel für die Zukunft anderer Landesteile sein könnten...

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zu Besuch bei Schachtbau Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel) Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zu Besuch bei Schachtbau Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel)

Die Personalien werden dreimal überprüft, bevor man auch nur das Gelände betreten hat, der Sprengstoffspürhund muss die technische Ausrüstung der versammelten Journalisten überprüfen, dann ein Tässchen Kaffee, ein belegtes Brötchen, auf die Uhr schauen. Schließlich fährt die Kolonne des Staatsoberhauptes unter Polizeibegleitung ein, das Staatswappen am Kotflügel, die Würdenträger der Region warten schon.

Die Staatsformen haben sich über die Jahrhunderte geändert, die Regeln der Repräsentanz eher weniger, so scheint es. Der Pomp mag dem Pragmatismus gewichen sein, das Protokoll hochherrschaftlicher Besuche aber überdauert.

Das Staatsoberhaupt heißt heute Frank-Walter Steinmeier und ist Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Das Amt hat, bekanntermaßen und aus gutem Grund, keinerlei politischen Einfluss auf die Geschicke des Landes. Der Bundespräsident ist für Deutschland das, was die Queen für den Commonwealth ist, minus dem royalem Tamtam: die lebendige Verkörperung staatlicher Repräsentanz.

Was bringt er also mit, so ein Bundespräsident, wenn er das Land bereist? Zum einen: Aufmerksamkeit. Kameras, Fotoapparate und gespitzte Stifte sind allgegenwärtig. Das es überhaupt das erste mal ist, das ein amtierender Bundespräsident in Nordhausen zu Gast ist, ist da nur eine Randnotiz.

Zum anderen: eine Botschaft. Das Kerngeschäft des Amtes. "Land in Sicht", hieß die heute. Es habe es schon früher mit Argwohn betrachtet, wenn von "abgehängten Regionen" gesprochen wurde, sagt Steinmeier, die Sentenz klinge wie ein Urteilsspruch, der im allgemeinen Sprachgebrauch eingerissen sei. Er habe sich deswegen bewusst dazu entschieden, Regionen zu bereisen, "die vom Schicksal nicht begünstigt wurden". "Land in Sicht", das bedeute nicht allein auf die Ballungsräume zu blicken. Und es bedeute Zuversicht. Man wolle zeigen, wie sich Menschen und Betriebe Herausforderungen gestellt und sich der "Schicksalhaftigkeit" des Urteilsspruches entgegengestellt haben.

Was bringt ein Bundespräsident mit? - vor allem Aufmerksamkeit (Foto: Angelo Glashagel) Was bringt ein Bundespräsident mit? - vor allem Aufmerksamkeit (Foto: Angelo Glashagel)

Zur jeder Botschaft gehört eine gute Geschichte und die erzählten heute Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der Geschäftsführer der Firma Schachtbau, Jürgen Stäter und Prof. Thomas Bauer, Aufsichtsratschef der Schachtbaumutter, der Bauer-Gruppe.

Die Ursprünge der Erzählung liegen fast 120 Jahre zurück, im Schachtbau-Gründungsjahr 1898, der Kern der Botschaft in den frühen 1990er Jahren und ihren Folgen. 3.500 Mitarbeiter zählte man beim Schachtbau, als man noch "volkseigener Betrieb" war, 2.000 davon allein im Bergbau. Mit der Wende kam der große Schnitt, in den Auftragsbüchern herrschte gähnende Leere, die Zukunft war ungewiss. Ministerpräsident Ramelow findet deutlichere Worte: die Region habe damals vor einem "Aufruhr" gestanden, in der Abwicklung der Kali-Werke habe sich die "kalte Schnauze des Kapitalismus" gezeigt und man habe "eine Marktbereinigung der schlimmsten Art" erlebt.

Im Strudel der Ereignisse suchte man auch beim Schachtbau sicheres Fahrwasser zu finden. Der Lotse der den Betrieb durch die Wendejahre geleiten sollte heißt Thomas Bauer. Der Bayer kannte die Nordhäuser, man hatte bereits einträgliche Geschäfte gemacht. 1990, noch vor Wiedervereinigung und D-Mark, gründet man eine Tochterfirma. Als fest stand, dass der Schachtbau privatisiert würde, habe man gehandelt, erzählt Bauer. "Wir sind da gegen viele Wände gelaufen, auch bei den Banken und mussten uns "Rote Socken" Diskussionen anhören. Man wollte uns erzählen wen wir alles entlassen müssten. Wir wollten aber mit den Leuten weiter machen, die da waren."

"Vieles was aus der DDR kam, war positiv, etwa die Ausbildung der Leute. Das "Können" war nie das Problem", erzählt der Bayer weiter, die Schachtbau habe Qualität besser beherrscht als die Belegschaft daheim im Westen. Gefehlt hätten die Strukturen das "Können" auch produktiv umzusetzen. Die Entlassungen kamen freilich trotzdem, die ersten 15 Jahre seien sehr schwer gewesen, man habe nicht nur Erfolge zu verzeichnen gehabt, knapp 1.800 der 3.000 Beschäftigten mussten gehen.

Der Konflikt ist also gesetzt, es folgt die Katharsis. Wo andere Betriebe scheiterten, überlebte Schachtbau. Man musste sich neu erfinden, und das schnell, erzählt Betriebschef Stäter. Heute macht man sehr viel mehr als die namensgebenden Schächte. Zum Repertoire gehören Stahlboden- und Maschinenbau sowie Entsorgung und Umsetzung von Endlagern aus dem Bergbau und einiges mehr. Seit sieben Jahren ist man in Kasachstan tätig und treibt Stollen voran, die Auftragsbücher sind voll, 2018 sei das beste Jahr seit der Übernahme durch die Bauer-Gruppe gewesen, hieß es am Vormittag. "Die Schachtbau war eine Firma, die alles verloren hat und alles neu angefangen hat", sagt Bauer, und damit habe man schließlich Erfolg gehabt. Selbst das alte Bergbaugeschäft ziehe wieder an, sogar in Deutschland.

Solche "Wendegeschichten" seien tief in der Region verankert, meinte Ramelow. Der Arbeitskampf und das Gebaren der Treuhand im ostdeutschen Bergbau insbesondere in Bischofferode Anfang der 90er Jahre, hatte der heutige Ministerpräsident bald zwanzig Jahre später noch einmal als Oppositionschef im Landtag zum Thema gemacht. Die Leute seien damals wie "paralysiert" gewesen, man habe einen harten Prozess durchgemacht, um das hinter sich zu lassen.

Die Geschichte könnte sich dieser Tage so ähnlich anderswo wiederholen. Einen Strukturwandel, ähnlich dem wie man ihn hier durchgemacht habe, stehe anderen noch bevor, sagte Bundespräsident Steinmeier, etwa in der Oberlausitz oder in seiner Heimat Nordrhein-Westphalen. Als Bundespräsident sei es ihm zugekommen, die letzte Steinkohlegrube in NRW im vergangenen Dezember zu schließen. "Da kam keine gute Laune auf". Und doch gebe es dort, wo tatkräftige Menschen mit Ideen zur Arbeit schreiten, Zuversicht. Siehe: Schachtbau.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zu Besuch bei Schachtbau Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel) Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zu Besuch bei Schachtbau Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel)

Und deswegen war er wohl hier. Nicht um die Seele derer zu streicheln, die ihre Prüfungen schon bestanden haben, sondern um denen Mut zu machen, die sich ihr noch stellen müssen.

Der Tross zieht bald weiter, am Industrieweg kehrt die übliche Geschäftigkeit ein, in Greußen und Sondershausen warten bereits die nächsten Empfänge und öffentlichkeitswirksamen Termine. Sehr viel mehr als das kann das Amt nicht leisten. Repräsentanz, Aufmerksamkeit und eine Botschaft.
Angelo Glashagel

Update 20 Uhr: Hier der Bericht aus Sondershausen und die Steinmeier-Rede zum Mithören.
Autor: red

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