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Online-Gaming künftig eine Krankheit

Die Sucht kommt spielend

Sonntag, 26. Mai 2019, 10:06 Uhr
Exzessives Computer- oder Video-Gaming steht aktuell immer wieder in der Diskussion, nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Online-Spielsucht in den neuen Katalog der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen hat. Dieser soll in Kürze verabschiedet werden. Kritiker fürchten nun, dass Menschen, die viel online spielen, fälschlicherweise als therapiebedürftig eingestuft werden könnten...


„Eine einheitliche Definition von Computerspiel- und Onlinesucht ist schwierig, allerdings gibt es klare Alarmzeichen für eine Abhängigkeit“, sagt Michael Falkenstein, Experte für Suchtfragen bei der KKH Kaufmännische Krankenkasse.

Dazu gehöre etwa, die Kontrolle über Häufigkeit und Dauer des Spielens völlig zu verlieren, das Spielen vor andere Aktivitäten zu stellen und auch bei negativen Konsequenzen weiterzumachen. Falkenstein: „Süchtig nach Online-Gaming ist jemand, der seine Familie und Freunde, die Schule oder die Arbeit vernachlässigt, der sich wegen des ständigen Spielens schlecht ernährt, kaum noch schläft, Hobbys und sportliche Aktivitäten sausen lässt.“

Die häufigsten Gründe für exzessives Online-Spiel sind Stressbewältigung und Ablenkung. Besonders Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl nutzen die Games, um sich von Frust und Unsicherheit zu befreien. Sie genießen die virtuelle Unbeschwertheit, auch wenn das reale Leben derweil zusammenbricht. Laut des jährlichen Drogen- und Suchtberichts der Bundesregierung, der bereits 2016 den Schwerpunkt auf Onlinesucht gelegt hat, haben vor allem Online-Rollenspiele, Online-Shooter und Strategiespiele Suchtpotenzial. Diese Games können stark fesseln, denn die Übernahme einer Rolle ist meist mit einer starken Identifizierung verbunden. „Durch Erfolgserlebnisse im Rollenspiel werden zum Beispiel Misserfolge im Alltag kompensiert, da sie virtuell viel leichter als im echten Leben zu erzielen sind“, erläutert der KKH-Experte. Die Betroffenen fühlen sich von der Rollenspiel-Gemeinde mehr geschätzt als von realen Personen und können sich leichter in virtuelle als in reale Gruppen integrieren.

Um exzessiv spielenden Patienten zu helfen, sei es vor allem wichtig, die Ursachen für die Sucht zu ermitteln, erläutert Michael Falkenstein. Das können etwa Depressionen oder soziale Angststörungen, aber auch eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sein. Solche Erkrankungen können eine Spielsucht auslösen, eine Spielsucht aber wiederum auch andere Erkrankungen wie Fettleibigkeit, verstärkter Alkohol- und Nikotinkonsum, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Augenprobleme. Bei diversen Krankheitsbildern, die häufig mit einem Computerspielzwang einhergehen, stellte die KKH von 2007 auf 2017 einen deutlichen Anstieg fest:
  • Depressionen: plus 43 Prozent, bei den 13- bis 18-Jährigen sogar plus 119 Prozent
  • Angststörungen: plus 55 Prozent, bei den 13- bis 18-Jährigen sogar plus 76 Prozent
  • Schlafstörungen: plus 60 Prozent, bei den 19- bis 29-Jährigen sogar plus 89 Prozent
  • Rauschtrinken: plus 37 Prozent, bei den 30- bis 34-Jährigen sogar plus 73 Prozent
  • Tabaksucht: plus 88 Prozent
„Es müssen immer viele Kriterien zutreffen, um von einer Abhängigkeit zu sprechen“, sagt Falkenstein. Allerdings könne die Aufnahme der Online-Spielsucht in den Katalog der Krankheiten auch eine Chance sein, das Thema zu enttabuisieren: „Möglicherweise holen sich Betroffene dann eher Hilfe, denn die Scham ist oft groß und der Weg zur Einsicht lang.“

Daran merken Sie, dass Sie süchtig nach Online-Spielen sind:
  • Wenn Sie zwischenmenschliche Beziehungen, Ihre Hobbys, Ihre Wohnung und sich selbst für Ihr Online-Spiel vernachlässigen.
  • Wenn Sie Schule, Ausbildung oder Arbeit wegen des Online-Spielens gefährden und trotz Konflikten exzessiv weiterspielen.
  • Wenn Sie nur ans Computerspielen denken, auch wenn Sie nicht vor dem PC sitzen.
  • Wenn Versuche, weniger oder gar nicht mehr zu spielen scheitern.
  • Wenn Sie Online-Games als Kanal nutzen, um negative Gefühle wie Stress, Wut oder Einsamkeit zu verdrängen.
  • Wenn es zu Entzugssymptomen kommt, wenn nicht gespielt werden kann, etwa zu Unruhe, Gereiztheit, Schweißausbrüchen.
  • Wenn Sie Familienmitgliedern, Therapeuten oder andere Personen belügen, um spielen zu können und um das wirkliche Ausmaß des Online-Spielens zu vertuschen.
Das können Betroffene tun:
  • Setzen Sie feste Regeln für die Computernutzung, zum Beispiel mit Zeitsperren. Stellen Sie etwa einen Wecker, der Sie nach einer bestimmten Zeit ans Aufhören erinnert, oder führen Sie ein Computertagebuch.
  • Planen Sie Dinge für die Zeit, die Sie offline sind, etwa Sport, Freunde treffen, Ausgehen.
  • Vertrauen Sie sich jemandem an, der Sie in Ihrem Vorhaben unterstützt, weniger zu spielen (Familienangehörige, Freunde, Lehrer oder Ausbilder).
  • Finden Sie heraus, warum der PC in Ihrem Leben so wichtig geworden ist.
  • Holen Sie sich Hilfe, etwa bei einem Experten in einer Suchtberatungsstelle oder in einer Selbsthilfegruppe.
Informationen erhalten Sie etwa unter erstehilfe-internetsucht.de/hilfsangebote-finden sowie unter caritas.de/suchtberatung. „In einigen psychiatrischen Kliniken gibt es darüber hinaus spezielle Ambulanzen für Online- und Internetsucht“, ergänzt Michael Falkenstein.
Bild von ExplorerBob auf Pixabay
Autor: red

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