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Und vielleicht retten wir uns ja doch III

Das Stiefkind und der Hoffnungsträger

Montag, 24. Februar 2020, 15:30 Uhr
Der Energiehunger der Welt steigt stetig. Wo der zusätzliche Strom herkommen soll, gehört zu den zentralen Zukunftsfragen unserer Zeit. Eine Alternative zu Kohle und Gas ist neben Wind und Sonnenenergie die Atomkraft. In Deutschland hat die einen denkbar schlechten Ruf und so manches, ganz reale Problem. Aber das könnte sich ändern. Und dann ist da noch die Fusion…


Symboldbild. Foto: Bild von Johannes Plenio auf Pixabay

Wer in Bayern heute ein Wildschwein schießt, der muss vor Verkauf und Verzehr überprüfen lassen, ob das Wildbret nicht vielleicht radioaktiv verseucht ist. Der Knall, der das nötig gemacht hat, liegt nun 34 Jahre zurück und ereignete sich weit entfernt vom Alpenrand: die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Der „Fallout“ war im Süden Deutschlands damals zehnmal höher als im Norden, die Böden sind bis heute mit Cäsium 137 und Strontium 90 belastet. Selbst in Irland sind die Spuren der Katastrophe noch zu finden. Rund 4.000 Menschen würden die Folgen des Unfalls das Leben kosten, schätzte die Weltgesundheitsorganisation 2005, andere Schätzungen liegen noch weit höher.

2011 schließlich das Desaster von Fukushima. Der japanische Reaktor ist weit weg, die Katastrophe schlägt in Deutschland dennoch hohe Wellen. Hatte man die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke vor nicht allzu langer Zeit verlängert, folgte jetzt der Ausstieg aus der Atomkraft.

Atomkraft, nein Danke!


Die Technik hatte hierzulande in den letzten Jahrzehnten keinen guten Stand. Das lag nicht nur an den „größten anzunehmenden Unfällen“, sondern auch an inhärenten Problemen. Wohin mit dem Abfall, der tausende Jahre lang strahlen kann? Die Endlager wurden, man mag politische Motive vermuten, entlang der deutsch-deutschen Grenze eingerichtet. Als tauglich erwies sich kein einziges und Bilder von leckenden Fässern voll radioaktiven Abfalls hoben die Stimmung im Land nicht eben an. International scheint es kein Endlager zu geben, das völlig unumstritten und auf tausende Jahre hinaus als „sicher“ gelten kann. Und es strahlt nicht nur der Müll, sondern auch Bauteile, die ebenfalls fachgerecht entsorgt werden müssen, wenn ein Kraftwerk abgebaut wird. Für den deutschen Steuerzahler wurde der Ausstieg so zu einer kostspieligen Angelegenheit. Die Betreiber der Kraftwerke, die schon bei Aufbau und Betrieb satte Subventionen in Milliardenhöhe kassiert hatten, bitten den Staat jetzt erneut zu Kasse.

Von ihren Verfechtern wird die Atomkraft dennoch als handfeste Alternative zur Kohle- und Gasverstromung verteidigt. Und zumindest in der CO2-Bilanz ist die Kernspaltung „sauber“. Das Endlagerproblem wischt das freilich nicht vom Tisch. Zu glauben die Endlagerfrage klären zu können, ist nichts anderes als der Gipfel menschlicher Hybris. Als kleines Beispiel: Plutonium-239 kommt auf eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Ehe sich die Strahlung auf ein erträgliches Maß verringert, können 300.000 Jahre ins Land gehen. Zeiträume, die niemand überblicken kann. Nur zur Relation: vor 24.000 Jahren hatte die Menschheit noch nicht einmal das Rad erfunden. Selbst ein Horizont von 1.000 Jahren übersteigt die menschliche Vorstellungskraft, von unserem Vermögen zum planvollen handeln einmal ganz zu schweigen.

Die Verheißungen der vierten Generation


Die Atomkraft kann keine Alternative sein. Oder? International wird daran gearbeitet, die alte Technik in Zukunft mit Reaktoren der „Generation IV“ wieder auf das Tableau bringen. Statt wie bisher vergleichsweise seltenes Uran-235 für den Spaltprozess zu verwenden, sollen die mit Natrium gekühlten „schnellen Brüter“ Uran-238 nutzen können. Das wäre reichlich vorhanden, bleibt der Stoff doch als Abfall aus der Energieproduktion der alten Leichtwasserreaktoren zurück und ist auch als natürlicher Rohstoff leichter zu bekommen als Uran-235.

Die Nutzung verklappter Brennelemente würden allein in Deutschland die Stromproduktion für rund 250 Jahre sichern, ist in einem Artikel der „Zeit“ aus dem Oktober vergangenen Jahres zu lesen. Die Endlagerfrage wäre damit zwar nicht gänzlich gelöst, aber überschaubarer geworden. Statt tausende Jahre in die Zukunft zu planen, müsste jetzt nur noch ein Horizont von ein paar hundert Jahren überbrückt werden, bis der radioaktive Müll nicht stärker strahlt als der natürliche Hintergrund. Die „Zeit“ attestiert ein „gewaltiges Potential“. Die Natriumkühlung würde die Reaktoren zudem sicherer machen, da der Druck in der Anlage deutlich geringer ausfiele, als bei einem Leichtwasserreaktor. Statt Wasserdampf, der sich unter hohem Druck explosionsartig Raum verschafft und sich als radioaktive Wolke über ganze Kontinente verbreiten kann, sei bei einem Leck im Natriumreaktor lediglich ein beherrschbarer Natriumbrand zu erwarten.

Noch wird an der jüngsten Generation der Reaktoren gearbeitet, die Technik selbst ist seit längerem bekannt. Ein Forschungsverbund aus 14 Staaten arbeitet aktuell an der Umsetzung, noch dieses Jahr sollen neue Reaktoren ans Netz gehen.

Wer nun aber glaubt die Atomkraft stehe in Deutschland vor ihrer baldigen Renaissance, der möge sich vor Augen halten welche Grabenkämpfe hierzulande schon wegen neuen Stromtrassen, Windrädern und Solarparks ausgefochten werden. Das man das Windrad auf dem Hügel und die Stromtrasse über dem Feld ablehnt, dafür aber den Kernreaktor in der Nachbarschaft freudig begrüßt, ist nach Jahrzehnten hoch emotionaler deutscher Atomerfahrung nur sehr schwer vorstellbar.

Die Kraft der Sonne


Ähnliche Hürden in der Akzeptanz dürften, technikunabhängig, auch Fusionskraftwerke zu nehmen haben. Aber ehe man diese Brücke überschreiten muss, werden noch ein paar Jahre ins Land gehen. Vielleicht Jahrzehnte.

Die Kernfusion wird von den Gegnern regenerativer Energieerzeugung gerne als das Allheilmittel ins Feld geführt. Und tatsächlich klingen die Versprechungen verlockend: gelänge es, die Kraft der Sonne nicht nur per Photovoltaik einzufangen, sondern direkt im Kraftwerk selber zu erzeugen, wäre die Energiefrage auf lange Sicht sauber gelöst.

Der wissenschaftliche Hintergrund klingt trivial: im Inneren unseres Zentralgestirns verschmelzen Wasserstoffatome unter enormer Hitze und Druck zu Helium und setzen dabei die Energie und Wärme frei, die das Leben auf der Erde überhaupt erst möglich machen. Auf dem blauen Planeten will man diesen Prozess unter Einsatz von Deuterium und Tritium im kleinen Maßstab umsetzen. Gelingt die Verschmelzung, die Herstellung des „Plasmas“, könnten aus einem Gramm Brennstoff 90.000 Kilowattstunden Energie erzeugt werden. Das entspräche dem Gegenwert von 11.000 Tonnen Kohle, schreibt das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Deuterium sei auf der Erde nahezu unerschöpflich vorhanden, Tritium kann aus Lithium gewonnen werden, erklären die Forscher weiter. Nachteile? Keine. Kein CO2, kein radioaktiver Müll.

Wo bleibt sie also, die heilsbringende Technik? „Die Kernfusion wird in fünf Jahren kommerziell nutzbar sein - und das schon seit 50 Jahren.“ - die Ankündigungen und Versprechungen rund um die Fusion sind inzwischen eine Art Treppenwitz der Wissenschaft. Im Atomrausch der 1950er Jahre schien der nächste Schritt hin zur Fusion nur logisch und in greifbarer Nähe zu sein. In der 70er Jahren flammt erneut Euphorie aus, flacht wieder ab nur um in den 90er Jahren eine erneute Renaissance zu erleben. Wieder zwanzig Jahre später, um die Mitte der „10er“ Jahre, beginnt der nächste „Hype“. Also alles nur Schall und Rauch? Der gleiche Film nur neu verpackt? Die Fusion - ein unerreichbarer Menschheitstraum?

Tokamak und Stellerator


Unerreichbar vielleicht nicht. Aber verdammt schwer. Wie sich über die Jahrzehnte gezeigt hat ist es eine Sache, Plasma zu erzeugen. Das flüchtige Gebilde lange genug stabil zu halten um mehr Energie herauszuziehen als man hineingesteckt hat, das ist hingegen eine ganz andere Hausnummer. Die Lösung bieten starke, hochkomplexe Magnetfelder, die das Plasma in Zaum halten sollen. International werden vorrangig zwei Konstruktionsprinzipien verfolgt. Der „Tokamak-Reaktor“ wurde von Andrei Sacharow und Igor Tamm 1952 in der UdSSR entwickelt und ordnet die Magneten ringförmig um den Kern an. Der in den USA von Lyman Spitzer 1951 entwickelte „Stellerator“ setzt auf dreidimensional verschachtelte Magnetfelder. Es sollte gute vierzig Jahre dauern, bis es der Wissenschaft gelingt, mit den Konzepten der Forscher ein Energieplus zu generieren. 2016 wurden neuen Rekorde aufgestellt, in Korea gelang es immerhin 70 Sekunden lang stabiles Plasma zu halten. Ein Jahr später erreichte der chinesische Forschungsreaktor EAST 100 Sekunden.

ITER und Wendelstein 7-X


Am „Wendelstein 7-X“ stellt man Ende 2017 Weltrekorde auf: mehr Hitze, höhere Plasmadichte, längere „Pulse“. Der „Wendelstein“ ist der größte Forschungsreaktor nach dem „Stellerator“-Prinzip und steht in Greifswald. Die Vorgeschichte der 7er „Wendelstein“-Reihe ist lang und reicht bis in das Jahr 1975 zurück. Mit dem „7-X“ wurde 2014 die jüngste Auflage des ambitionierten Projektes eingeweiht und 2015 das erste Plasma erzeugt. Inzwischen wurde die zweite „Experimentierkampagne“ beendet, bis 2021 werden nun weitere Ausbauten am Reaktor vorgenommen. Erst dann folgen weitere Experimente. Fernziel ist der Dauerbetrieb. Der „Wendelstein“ soll dann ganze dreißig Minuten lang stabiles Plasma halten und dabei auf das problematischere Tritium als Rohstoff verzichten können.

Der „Tokamak“-Gegenpart ist als „International Thermonuclear Experimental Reactor“ oder kurz „ITER“ bekannt. An dem gewaltigen Forschungsprojekt beteiligen sich neben der EU auch die USA, China, Südkorea, Japan, Russland, Indien und die Schweiz. Baubeginn war 2008 in Südfrankreich. Nach mehreren Verzögerungen und deutlich gestiegenen Kosten wird mit der ersten „Zündung“ nicht vor 2025 gerechnet. Immerhin: hier baut man keinen einfachen Flughafen sondern hochkomplexe Anlagen am Limit der technischen Möglichkeiten der Spezies. Da darf es vielleicht auch ein wenig länger dauern.

Gelingt das Vorhaben, soll der „ITER“ das zehnfache der eingesetzten Leistung liefern und über mindestens 400 Sekunden eine Fusionsleistung von 500 Megawattstunden erreichen. Weitere Tests sehen Laufzeiten zwischen einer bis fünf Stunden sowie höhere Ausbeuten über kürzere Zeit vor.

Neben „Wendelstein“ und „ITER“ gibt es international noch ein ganze Reihe weiterer Forschungsreaktoren und zu den staatlichen Akteuren gesellen sich zunehmend auch private Unternehmungen, die sich Chancen auf den heiligen Gral der Energiegewinnung ausrechnen. Eine Entwicklung, die zumindest Hoffnung macht.

Also alles fantastisch, die Fusionsenergie ist, wieder einmal, in greifbarer Nähe? Je nachdem wie man „greifbar“ definieren will mag die Antwort unterschiedlich ausfallen aber allen Reaktoren ist gemein, dass es sich lediglich um Forschungsaufbauten handelt. Auch ein „ITER“, so er denn einmal fertig gestellt wurde und verlässlich im Betrieb steht, wird noch lange nicht am regulären Stromnetz hängen. Die Schritte, die man heute geht, stellen Vorstufen einer denkbaren kommerziellen Nutzung dar. Bis die Fusionsenergie aber durch unsere Steckdosen fließt, könnten noch ein paar Jahrzehnte ins Land gehen. Auf „ITER“ soll „DEMO“ folgen, das steht schon heute fest. Erst nach diesem zweiten Schritt soll der Aufbau kommerzieller Kraftwerke folgen.

Euphorie ob der schwindelerregenden Möglichkeiten sollte man also mit Vorsicht genießen. Ehe „Tokamak“ und/oder „Stellerator“ einsatzbereit sind, wird man andere Lösungen brauchen, wenn man dem Energiehunger der Welt möglichst nachhaltig begegnen will. Sonne und Wind sind reichlich vorhanden, aber hält regenerative Energie was sie verspricht? Dazu nächstes mal mehr.
Angelo Glashagel
Autor: red

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