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Eine nnz-Betrachtung von Olaf Schulze

Wann wir auf das Glück verzichten können

Sonntag, 05. April 2020, 17:00 Uhr
Im Kleinen und Regionalen können wir heute viele schöne Beispiele gegenseitiger Hilfe und Solidarität erleben, andererseits offenbart sich in der Krise auch ganz deutlich, wo in unserer Gesellschaft die Säge klemmt…

Reichstag (Foto: oas) Reichstag (Foto: oas)

„Wenn alle Menschen sich immer gegenseitig beistünden, dann bedürft niemand des Glücks.“ So sprach vor 2300 Jahren der griechische Komödiendichter Menander und bis heute hat seine Erkenntnis nichts an Aktualität verloren.

Die Helden dieses Frühlings, die ganz in Menanders Sinne unterwegs sind, arbeiten in Krankenhäusern, Apotheken und Arztpraxen, sitzen an Supermarktkassen, auf Fahrersitzen oder in Einsatzstäben, stehen an Grenzen und Kontrollpunkten oder befördern unentwegt die Personen, die weiter die Grundlagen unserer Gesellschaft erwirtschaften. Fußballfans bieten Einkaufsdienste an, Firmen und das Landratsamt helfen anderen bei der Beschaffung von Schutzausrüstungen, fleißige Näherinnen im Theater und anderswo fertigen Schutzmasken für bedürftige Branchen, Blumen werden gesammelt und an die einsam gewordenen Patienten im Krankenhaus verteilt. Diese und viele weitere Aktionen gelebter Solidarität wie die bewundernswerte Hilfe der Neustädter Klinik für französische Corona-Patienten beweisen, dass sich Menschen gegenseitig beistehen.

Allerdings bemerken wir in dieser Krisenzeit auch ganz andere offizielle Beschlüsse, die Menander leider widersprechen. Über die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags angesichts ungesicherter Wirtschaftslage und zu erwartenden Millionen von Kurzarbeitern und Arbeitslosen haben wir hier schon berichtet.

Und während beispielsweise komplett abgeschaltete Sportvereine in allen Mannschaftssportarten ums nackte Überleben ringen, stunden die Berufsgenossenschaften ihre Beiträge nicht einmal, sondern werden sie trotz flehentlicher Bitten der Sportverbände planmäßig am 15. Mai erhöhen. Für die fehlenden und dringend benötigten Schutzausrüstungen von der FFP-Maske bis zum Gummihandschuh steigen die Preise in ungeahnte Dimensionen und auch die Lebensmittelpreise ziehen derweil kräftig an.

Was den Menschen mit den Arbeitsverboten und Ladenschließungen angetan wird und zu welchen gesellschaftlichen Verwerfungen das führen wird, ist heute noch gar nicht abzusehen. Anstatt Steuern und Abgaben für den gebeutelten Mittelstand zu senken oder einen breit angelegten Hilfsfond für Krisenbetroffene einzurichten, entwickeln Parteiführer der großen Koalition in Berlin die krudesten Pläne, um Vermögensumverteilungen ins Werk zu setzen. Die Reichen müssen was abgeben, die Armen müssen was kriegen. Tolle Idee! Bis allerdings in Deutschland geklärt sein wird, wer wann wohin wieviel und mit welchen begründeten bürokratischen Ausnahmen geben muss, haben wir vermutlich schon mit der nächsten Pandemie oder einem totalen Stromausfall zu tun.

Immer rigoroser werden die Maßnahmen der Behörden zur Durchsetzung der Kontaktsperren. Einige wie der untersagte Grenzübertritt im Harz von Thüringen nach Sachsen-Anhalt erinnern unangenehm an DDR-Zeiten. Ein weiterführendes nationales Szenario für die nächsten Wochen ist nicht absehbar und wird nicht kommuniziert. Nur Virologen und Wirtschaftsexperten scheinen noch ihre Meinungen öffentlich zu vertreten, die Politik schweigt. Die Massenmedien schwingen sich zu bedingungslosen Helfern des Staates auf und applaudieren jeder neuen Beschränkung. Eine politische Opposition oder wenigstens einen kontroversen Diskurs zu einzelnen Aspekten der Lage gibt es nicht mehr.

Die Menschen vor den Bildschirmen interessiert es aber herzlich wenig, ob in Ungarn Orban seine Zweidrittelmehrheit (die ihn ohnehin befähigt alles durchzusetzen) ausnutzt oder ob in Brasilien Bolsonaro die Pandemie verleugnet. Auch ob Putin bald Schwierigkeiten bekommt und Trump ein schlechter Krisenmanager ist, spielt momentan nicht so eine große Rolle im Denken der Bevölkerung.

Warum es in Deutschland nicht genügend Schutzausrüstungen gibt und wie man die jetzt schnell im eigenen Land herstellen kann, das wäre wichtig zu untersuchen. Warum unser Hygienestandard im öffentlichen Raum auf einem erschreckend niedriges Niveau verfallen ist und wie wir das wieder ändern können, das sollten die Medien thematisieren. Warum Truckerfahrer, die für unsere tägliche Versorgung überlebenswichtig sind, wie Aussätzige behandelt und tagelang an Grenzen innerhalb der EU festgehalten werden und ihnen der Zutritt zu Toiletten und Waschräumen verweigert wird, warum Einsatzkräften und medizinischem Personal respektlos begegnet wird, das gehört auf die mediale Agenda. Oder warum die Bundesregierung keinen Ausstiegsplan aus der gesellschaftlichen Lähmung hat und man den Eindruck gewinnt, die Deutsche Fußball Liga gäbe hierzulande den Takt vor, ab wann wir uns wieder normal bewegen können.

Weil wir aber diese Fragen nicht beantworten können, sollten wir uns derzeit den kleinen alltäglichen Antworten widmen und untereinander beistehen, wie es der alte Grieche vorgeschlagen hat. Jetzt gilt es zu schauen, dass jeder einzelne von uns sich so verhält, dass wir am Ende kein Glück brauchen, sondern in unserem Handeln und Denken gestärkt und gefestigt aus dieser Zeit herauskommen.

Einander beizustehen kann sich auch in einem Blickkontakt, in einem Lächeln, in einem aufmunternden Wort manifestieren. Und so schwer oder unsinnig uns auch einige Vorschriften erscheinen mögen; sie mit Anstand, Würde und ohne Aggression zu ertragen hilft uns allen weiter. Über das Versagen und die Verfehlungen einzelner Verantwortungsträger in Politik und Gesellschaft wird später zu richten sein.
Olaf Schulze
Autor: osch

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