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1.Mai-Kundgebung vor dem Rathaus

Die Weltrevolution zu Gast in Nordhausen

Freitag, 01. Mai 2020, 12:39 Uhr
Seit fast einhundertfünfzig Jahren begeht die Arbeiterschaft den 1. Mai als Kampftag der Arbeiterklasse. Später wurde das martialische Ansinnen umgewandelt in einen Feiertag mit dem friedlicheren Namen „Tag der Arbeit“. Heute wurde daraus wieder ein „Kampftag“ …

MLPD-Demo (Foto: oas) MLPD-Demo (Foto: oas)
Revolutionäre auf dem Rathausplatz: Die einzige Frau ist leider verdeckt auf diesem Foto

Der Autor hat in seinem Leben schon einige Maikundgebungen erlebt, bei denen er beispielsweise als Schüler in der Endloswarteschlange zur Leipziger Haupttribüne auf dem Karl-Marx-Platz mit seinen Kameraden stundenlang Karten spielte. Oder später einmal in den sehr frühen Morgenstunden des Feiertages an einem spontanen - und dem reichlichen Genuss leckeren Maibocks geschuldeten - testweisen Vorbeimarsch an der Quedlinburger Ehrentribüne gerade noch von den aufmerksamen „Kundschaftern an der unsichtbaren Front“ abgehalten wurde. Aber diese heutige Kundgebung auf dem Nordhäuser Rathausplatz stellt eine völlig neue Qualität dar. Das ist natürlich dem Corona-Virus geschuldet, aber nicht ausschließlich.

Aufgerufen zur Maikundgebung hatten nicht wie traditionell der Deutsche Gewerkschaftsbund oder Parteien mit klassenkämpferischem Hintergrund wie die SPD oder die LINKE, sondern die Kleinstpartei MLPD. Und ja, das M und das L stehen tatsächlich für Marx und Lenin. Unter Einhaltung aller Auflagen für diese den erlassenen Bestimmungen vorgezogene Versammlung (ab übermorgen dürfen offiziell wieder 50 Personen im Freien zusammenkommen, um ihr Grundrecht auf Demonstrationen auszuüben) waren zehn Revolutionäre gekommen. Einer von ihnen sprach, die anderen applaudierten, sofern sie ihre Hände frei hatten und nicht eine Fahnenstange darin halten mussten.

Die Festrede drehte sich hauptsächlich um die Dreißigstundenwoche, die Flüchtlinge auf Lesbos, die Auswirkungen der Corona-Krise, die Demonstrationsfreiheit, die faschistoide AfD und die Gewerkschaften. Und es ging gegen den Landrat, der den heutigen Demonstrationszug der „Friday for Menschenrechte“-Aktivisten untersagt habe, weshalb man sich flugs mit einer Solidaritätsbekundung beschäftigen und eine Resolution verfassen wolle. Spätestens an dieser Stelle kam mir die Szene aus „Life of Brian“ in den Sinn, in der die Volksfront von Judäa ihre unbarmherzigen Forderungen an die Römer aufstellt.

MLPD-Demo (Foto: oas) MLPD-Demo (Foto: oas)
Aufsteller verdeutlichten die wichtigsten Forderungen der Marxisten-Leninisten

Nachdem der Vortrag des Redners mit einem kräftigen „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ beendet war, wurden Lieder abgespielt, in denen die Oktoberrevolution von 1917 als Garant für ein „Schluss mit Hunger, Krieg und Tod“ gepriesen ward. Das hielt ich für einen geeigneten Zeitpunkt, meine Recherche zu beenden.

Als Persiflage auf Maikundgebungen im real existierenden Sozialismus hätte die heutige Veranstaltung eine ausgezeichnete Figur abgegeben; es steht jedoch zu befürchten, dass es den Akteuren bitterernst war. Für ihren Auftritt im nächsten Jahr sollten die Genossen dann allerdings etwas an der Frauenquote arbeiten. Die lag mit 10 Prozent deutlich unter der geforderten Gleichberechtigungsmarke.
Olaf Schulze
Autor: osch

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