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Mo, 15:45 Uhr
21.02.2011

Dresden: Ein Erfahrungsbericht (1)

Es sollte Europas größter Naziaufmarsch werden. Doch wie schon im vergangenen Jahr kamen tausende Menschen zusammen, um die Aktionen des braunen Mobs zu verhindern. Unter den 20.000 Gegendemonstranten befanden sich auch rund 40 Nordthüringer. Die nnz mit einem Erfahrungsbericht vom 19. Februar in Dresden...

Das Anliegen dieses Erfahrungsberichts ist es nicht, nur die Eindrücke eines einzelnen zu schildern, sondern nach Möglichkeit ein umfassendes Bild der Vorkommnisse des vergangenen Samstags zu zeichnen. Um dies zu ermöglichen, wurden Tickermeldungen überregionaler Nachrichtenportale sowie Twitter-Feeds herangezogen.


4:00 Uhr, Nordhausen
Das Klingeln des Weckers beendet eine kurze Nacht. Die nötigen Utensilien für den bevorstehenden Tag, ausreichend Verpflegung, warme Kleidung, Stadtpläne, etc., wurden bereits am Vorabend gepackt, so dass die frühen Morgenstunden vor der Abfahrt nicht in Hektik und Chaos untergehen. Kurz vor dem Aufbruch werden noch einmal schnell die einschlägigen Nachrichtenportale und Twitter-Kanäle überprüft um auf dem neuestem Stand zu sein.

Im vergangenen Jahr war es knapp 12.000 Gegendemonstranten erstmals gelungen, den traditionellen Naziaufmarsch am 13. Februar zu blockieren. Am 13. Februar Gedenken die Dresdner der Bombardierung ihrer Stadt im zweiten Weltkrieg. Beim Versuch der Alliierten die Brücken über die Elbe mit Bomben zu zerstören, wurde vor allem die Dresdner Altstadt in Mitleidenschaft gezogen. Die Stadt brannte nieder, 20.000 bis 25.000 Menschen kamen ums Leben.

Die extreme Rechte nutzt diesen Tag seit Jahren für propagandistische Zwecke. Auf Transparenten und Plakaten heißt es dann, es seien 250.000 unschuldige Opfer im „Bombenholocaust“ umgekommen und die Bombardierung sei eine Racheaktion und ein Kriegsverbrechen gewesen. Das Schicksal der Stadt Dresden wird instrumentalisiert, Geschichte nach Belieben umgedeutet, Täter werden zu Opfern und die Verbrechen des Dritten Reiches werden von denen relativiert, in deren Köpfen auch nach über 60 Jahren noch der Geist des Nationalsozialismus fortlebt.

Aufruf des Bündnisses "Dresden-Nazifrei" (Foto: Bündnis "Dresden-Nazifrei") Aufruf des Bündnisses "Dresden-Nazifrei" (Foto: Bündnis "Dresden-Nazifrei") Das Bündnis „Dresden-Nazifrei“, ein Zusammenschluss aus zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen, hatte 2010 erstmals zur Blockade des größten Naziaufmarsches in Deutschland aufgerufen. Einem angemeldeten Marsch der versammelten Neonaziszene aus Deutschland und dem europäischen Ausland sollte ziviler Ungehorsam und friedlicher Protest entgegengesetzt werden. Die Nazis wurden am Bahnhof der Dresdner Neustadt blockiert und konnten nicht marschieren.

Auf den Erfolg des vergangenen Frühjahres folgte die juristische Niederlage in diesem Januar: das Oberverwaltungsgericht Bautzen entschied, dass die Polizei das Demonstrationsrecht der extremen Rechten gegen alle Widerstände hätte durchsetzen müssen.
In diesem Jahr sollte daher die Elbe als natürliche Grenze genutzt werden, um beide Lager zu strikt zu trennen und den Marsch der Nazis so zu ermöglichen und etwaige Blockaden von vornherein zu verhindern.

Die Stadt Dresden hat am Freitag versucht die drei angemeldeten Veranstaltungen der Nazis auf eine stationäre Kundgebung zu beschränken, aber noch in der Nacht klagen die Veranstalter gegen die Pläne der Stadt. Nach dem Debakel des vergangenen Jahres wollen sie marschieren. Genauere Informationen zum Ausgang des Rechtsstreits, und somit zu der zu erwartenden Lage in Dresden sind aber am morgen noch nicht zu bekommen. Der Computer wird ausgeschaltet, es geht auf Richtung Hauptbahnhof.

5:15 Uhr, Nordhausen, Hauptbahnhof
Den Schlaf noch in den Knochen, erreichen die Reisenden einzeln oder in kleinen Gruppen den Reisebus, der uns nach Dresden bringen soll. Ein Streifenwagen der Polizei ist ebenfalls vor Ort. Die Beamten sollen als Geleitschutz fungieren und den Bus bis zur Autobahnauffahrt begleiten. Da sich auch aus anderen Städten Nordthüringens ebenfalls Demonstrationsteilnehmer angemeldet haben, wird es zunächst über die Landstraße gehen.

5:30 Uhr, Abfahrt Nordhausen
Noch ist der Bus nicht voll besetzt, aber die Mitreisenden bilden schon jetzt ein breites Spektrum der Bevölkerung ab. Vertreter der Grünen und der Linken, Studenten, Rentner, berufstätige Männer und Frauen: sie alle haben die behagliche Wärme der heimischen Betten verlassen, um in Dresden Gesicht zu zeigen und nach Möglichkeit den Aufmarsch der Nazis zu blockieren.

Ob das gelingen wird bleibt unklar. Die Polizei hat am Vortag angekündigt die Busse der Gegendemonstranten schon an den Autobahnabfahrten aufzuhalten und umzuleiten. Sollte dies passieren, haben die Organisatoren der Gegenveranstaltung damit gedroht die Autobahn zu blockieren und zu Fuß in die Stadt zu gelangen. Ein solches Unterfangen ist mit einem einzelnen Bus kaum zu wagen, daher soll sich unser Bus auf einer Raststätte zwischen Leipzig und Dresden einem größeren Konvoi aus Norddeutschland anschließen.

In drei Stunden muss unser Bus am Treffpunkt sein, oder wir müssen zusehen wie wir alleine in die Stadt gelangen. Der Zeitplan ist eng und noch müssen die anderen Mitreisenden aus der Umgebung aufgesammelt werden. Pünktlich um 5:30 starten wir in Richtung Dresden.

6:00 Uhr, Landstraße
Im Bus herrscht Ruhe. Von Anspannung ist nichts zu spüren. Mancher reibt sich den Schlaf aus den Augen, reist ein paar Witze oder holt das verpasste Frühstück nach. Der Busfahrer ist dazu verpflichtet während der Fahrt mindestens eine halbstündige Pause einzulegen. Die Sorgen um den Zeitplan zerstreut diese Information nicht gerade. Die Hälfte der Pause hat er schon am Nordhäuser Bahnhof hinter sich gebracht, eine weitere muss folgen, das Gesetz schreibt es so vor.

7:00 Uhr, Rastplatz
Wir sind unserem Zeitplan zehn Minuten voraus. Man wärmt sich mit Kaffee und raucht noch eine letzte Zigarette und nach einer Viertelstunde heißt es wieder ab in den Bus. Vielleicht wird der Konvoi ja doch noch erreicht.

7:20 Uhr, Auf der Autobahn
Die Busleiter informieren uns über das geplante Vorgehen. „Von uns geht keine Eskalation aus. Unsere Blockaden sind Menschenblockaden, keine Materialblockaden. Wir wollen den Marsch der Nazis Gewaltfrei mit friedlichen Mitteln verhindern“, fassen die Busleiter die Strategie des Bündnisses „Dresden-Nazifrei“ zu Beginn noch einmal zusammen. Anschließend wird Kartenmaterial ausgegeben und es werden verschiedene vorstellbare Szenarien durchgegangen.

Besonders wichtig ist den Busleitern, dass wir Bezugsgruppen bilden. Da es utopisch wäre zu glauben man könne die ganze Reisegruppe den Tag über zusammenzuhalten, sollen Kleingruppen gebildet werden deren Mitglieder gegenseitig aufeinander acht geben und keiner allein durch Dresden spazieren muss.

Ich schließe mich einer Gruppe von sechs jungen Leuten an und wir denken uns einen Fantasienamen aus, den wir Notfalls brüllen können, sollten wir uns in der Menge einmal verlieren. Es folgt die Rechtsbelehrung und was zu tun ist, wenn man in Gewahrsam genommen werden sollte.

Falls wir noch auf den Konvoi treffen und die Abfahrten abgeriegelt sein sollten, werden die drei vordersten und die drei hintersten Busse alle Fahrbahnen blockieren, so dass die mittleren Busse gefahrlos anhalten, die Demonstranten auf der Autobahn aussteigen und ihren Weg Richtung Dresdner Innenstadt zu Fuß fortsetzen können. Ein Mitreisender beschreibt es so: „Wenn wir Glück haben, steigen wir an einem der Blockadepunkte aus und bleiben dort den ganzen Tag. Wenn wir Pech haben verbringen wir den Tag damit uns auf der Autobahn die Beine in den Bauch zu stehen.“

8:30 Uhr, Auf der Autobahn
Wir kommen am vereinbarten Treffpunkt vorbei aber wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat, ist der Nord-Konvoi längst durch und bereits in Dresden angekommen. Erste Meldungen über Twitter erreichen uns. Die geplante Zusammenlegung der Neonaziveranstaltungen ist vor Gericht gescheitert und es wird statt einer stationären Kundgebung nun doch drei Veranstaltungen geben. Einige Dresdner die seit den frühen Morgenstunden eine der Elbbrücken besetzen um den Weg in den Süden der Stadt frei zu halten, sind eingekesselt worden. Der Nordthüringer Bus ist allein auf weiter Flur. Es sieht nicht gut aus.

9:20 Uhr, Kurz vor Dresden
Weitere schlechte Nachrichten erreichen uns. Die Autobahnabfahrten werden nach und nach von der Polizei dicht gemacht und wir konnten uns keinem Konvoi anschließen. Es wird beraten was nun zu tun ist. Sollen wir dennoch versuchen in die Innenstadt zu gelangen? Steigen wir vielleicht auch alleine auf der Autobahn aus? Oder werden wir nicht umhin kommen, in der Dresdner Neustadt am nördlichen Elbufer und somit weitab von den eigentlichen Aktionen zu protestieren?

9:30 Uhr, Kurz vor Dresden
Alle machen sich bereit kurzfristig auszusteigen. Draußen ist die Landschaft weiß. Minus drei Grad erwarten uns. An einer Abfahrt wurde unser Bus bereits von der Polizei aufgehalten. Wie es aussieht werden wir wohl doch in der Neustadt halten müssen.

Währenddessen in Dresden...
Laut Medienberichten soll der Bereich südlich des Hauptbahnhofes als zentrales Aufmarschgebiet der Nazis genutzt werden. Die Konvois aus Norddeutschland und Berlin haben es, ohne von der Polizei aufgehalten worden zu sein, in die Dresdner Innenstadt geschafft. Rund 500 Antifaschisten, Gewerkschafter der IG Metall und Mitglieder der Partei Die Linke sind über die Stadtteile Löbtau und Cotta zum Campus der Universität südlich des Hauptbahnhofs gezogen und werden dort von knapp 200 Polizeibeamten eingekesselt.

Die Nazis sollen zwei Kundgebungen und einen Marsch abhalten dürfen. Der soll sie vom „Nürnberger Ei“ über die Fritz-Löffler Straße in Richtung südlicher Hauptbahnhof führen. Die Zugänge zur Altstadt aus Richtung Norden sind abgesperrt und auch das zweite Hindernis, der Bahndamm der den Süden Dresdens durchzieht wird systematisch abgeriegelt.

10:00 Uhr, Abfahrt Dresden
Was derzeit in Dresden geschieht ist den Businsassen nicht bekannt. Die Informationen tröpfeln spärlich herein, das Lagebild ist unklar. Wie es aussieht könnte es uns aber nun doch gelingen in den Süden Dresdens zu kommen. Wir haben uns in einen kleinen Konvoi von vier Bussen eingereiht und befinden uns mittlerweile im Stadtgebiet. Da wir aber nicht wissen wie weit wir in die Stadt hineingelassen werden, wird der Plan gefasst sich einer der vielen Mahnwachen der Dresdner Kirchen anzuschließen.

10-12.00 Uhr, Dresden Löbtau, Südvorstadt
Glück gehabt. Einer der Busse die vor uns fuhren, wurde von der Polizei herausgezogen, uns hingegen wurde die Weiterfahrt gewährt. Wir steigen im Stadtteil Löbtau aus dem Bus und versuchen uns zu orientieren. Zwischen uns und den Blockadepunkten liegt ein kleiner Seitenarm der Elbe, der nur an einigen wenigen Punkten überquert werden kann. Das Busplenum beschließt einen nahe gelegenen Infopunkt des Bündnisses „Dresden-Nazifrei“ anzusteuern und weitere Informationen einzuholen. Dort heißt es zunächst warten. Wie wir später erfahren werden handelt es sich bei dem Infopunkt um ein alternatives Projekt das als „Praxis“ bekannt ist, und welches im Verlauf des Tages noch einmal ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit rücken wird.

Schnell zeigt sich das die Reisegruppe nicht zusammenbleiben wird. Während unsere Bezugsgruppe noch einmal bei einer Dresdnerin nach dem besten Weg und aktuellen Informationen nachfragt, spaltet sich der größere Teil der Gruppe ab. Unsere Bezugsgruppe zieht also alleine Richtung Südvorstadt. Von anderen Demonstranten oder Neonazis ist bis auf vereinzelte, kleine Grüppchen nicht viel zu sehen. Auch die Polizei ist in diesem Teil der Stadt noch nicht sehr präsent. Wir versuchen über die Nossener Brücke in Richtung Hauptbahnhof zu gelangen doch schon von weitem ist absehbar, dass die Brücke an ihrem Endpunkt abgesperrt ist. Hubschrauber donnern über uns hinweg. Durch Nebenstraßen geht es weiter bis zur Budapester Brücke. Der südliche Hauptbahnhof ist nur wenige Querstraßen entfernt, die jedoch alle abgeriegelt sind, wie uns zwei vorbeiziehende Jugendliche versichern.

Polizeihubschrauber über Dresden (Foto: Anonymus) Polizeihubschrauber über Dresden (Foto: Anonymus)

Die Gruppe ist sich uneins über das weitere vorgehen. Sollen wir es vielleicht doch in den Seitenstraßen versuchen und uns einen Weg durch die Hinterhöfe suchen oder uns lieber den Demonstranten an der Nordseite des Bahnhofs anschließen? Wir kennen die Gegend nicht und wissen nicht wo sich größere Menschengruppen sammeln, geschweige denn wo die Blockadepunkte zu finden sind. Noch während wir uns beraten schließt die Polizei die Brücke und wir finden uns nördlich der Gleise wieder. Ein taktischer Fehler wie sich bald herausstellt. Alle Blockaden befinden sich südlich des Bahndamms. Eine kleine Gruppe Demonstranten teilt unser Schicksal. Wir warten ab und versuchen uns ein Bild der Lage zu verschaffen.

Nach kurzer Zeit treffen wir wieder auf den Rest unserer Reisegruppe und wir schließen uns einem stetigen Strom von Menschen an, der Richtung Hauptbahnhof zieht.

Währenddessen anderswo in Dresden
Laut dem Bündnis „Dresden-Nazifrei“ befinden sich inzwischen rund 10.000 Gegendemonstranten in der Stadt. Es zeichnet sich ab das die Strategie der Polizei die Elbe als natürliche Barriere zu nutzen gescheitert ist. Kleinere Spontandemonstrationen und größere Gruppen machen sich im Laufe des Vormittages aus der Neustadt auf in Richtung Hauptbahnhof.

Am DGB Gewerkschaftshaus am Schützenplatz hätte ursprünglich eine Mahnwache stattfinden sollen, wurde jedoch wegen der räumlichen Nähe zu den Aufmarschplätzen der Neonazis kurzfristig verboten. Stattdessen hält man dort jetzt eine Landesbezirksvorstandssitzung ab, an der auch verschiedene Bundespolitiker, darunter Gesine Lötzsch (Die Linke), Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Martin Dulig (SPD) und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann teilnehmen.

Hövelmann sagt gegenüber der Zeitung taz: "Wer sich die Situation anschaut, kann nur mit dem Kopf schütteln. Eigentlich müsste es andersherum sein. Der Staat müsste doch diejenigen schützen, die den Rechtsstaat schützen wollen." Die Situation sei insgesamt nicht ungefährlich. Denn die Präsenz der Neonazis werde in der Gesellschaft immer normaler, so Hövelmann weiter.

In der Südvorstadt wird die Situation zunehmend unübersichtlicher. Die Polizei, die bei einem kleineren Naziaufmarsch am 13.Februar noch rund 5.500 Einsatzkräfte ins Feld schicken konnte, hat aufgrund verschiedener Großveranstaltungen (wie etwa Fußballspielen) gerade einmal 4.500 Beamte in Dresden zusammenziehen können. Die Ordnungsbehörden konzentrieren sich darauf die Wege zum Nürnberger Platz und die Unterführungen des Bahndamms abzuschirmen.

Der Druck auf die Polizei wächst zusehends. Gegen 11 Uhr gelingt es Nazigegnern die Blockaden in der Bayreuther Straße zu überwinden. Erste Steine fliegen und die Polizei macht gebrauch vom Wasserwerfer. An der Technischen Universität wird Tränengas eingesetzt. In der gesamten Südvorstadt sind anscheinend kleinere Gruppen von Demonstranten unterwegs und versuchen Richtung Nürnberger Platz zu gelangen. An der Ecke Franklin-Straße/Strehlener Straße, südöstlich des Hauptbahnhofs haben sich mehrere Demonstranten gesammelt und wollen Richtung Bahnhof weiterziehen werden jedoch von der Polizei aufgehalten. Aufforderungen sich auf die Nordseite des Bahndamms zurückzuziehen bleiben Erfolglos.

Vor der Frauenkirche, der Kreuzkirche und zahlreichen weiteren Gotteshäusern finden Mahnwachen statt, an denen sich auch die Politprominenz beteiligt. Am Bahnhof Mitte wie auch nördlich des Hauptbahnhofs haben sich ebenfalls mehrere tausend Menschen gesammelt. Die Stimmung hier ist ausgelassen. Gegen Mittag ist klar, dass sich die Rechtsextremen am Hauptbahnhof sammeln werden. Größere Demonstrationszüge ziehen vom Bahnhof Mitte und aus Richtung Neustadt friedlich Richtung Wiener Platz.

Menschenmengen sammeln sich auf dem Wiener Platz (Foto: Anonymus) Menschenmengen sammeln sich auf dem Wiener Platz (Foto: Anonymus)

Ganz anders die Situation in der Südvorstadt. In der Strehlener Straße und auf dem Münchner Platz, der nur wenige Meter vom Nürnberger Platz entfernt ist, haben sich erste Sitzblockaden gebildet, die zwar von der Polizei eingekesselt aber nicht geräumt werden. Wasserwerfer fahren auf. In der Reichenbachstraße brennen derweil die ersten Barrikaden und die Demonstranten versuchen sich zu sammeln.

Für viele war am Hauptbahnhof erst einmal Endstation (Foto: Anonymus) Für viele war am Hauptbahnhof erst einmal Endstation (Foto: Anonymus)

12.00 – 13.00 Uhr, Hauptbahnhof, Nordseite
Auf unserem Weg in Richtung Hauptbahnhof haben sich versprengte Teilnehmer aus dem Nordthüringer Bus unserer Gruppe angeschlossen, darunter ein älterer Herr. Auf dem Wiener Platz sind schon von weitem größere Menschenansammlungen auszumachen. Während wir in einigem Abstand zu den Bahngleisen zum Bahnhof ziehen, kommt plötzlich Hektik auf. Mehrere Menschen kommen uns aus Richtung des Hauptbahnhofes entgegen gerannt und versuchen an einem unüberwachten Abschnitt des Bahndamms über die Gleise zu gelangen. Kurz wird überlegt ob man sich dem Durchbruchsversuch anschließen sollte, was jedoch schnell verworfen wird. Die Gruppe muss zusammenbleiben und dem älteren Herrn wäre diese Anstrengung nicht zuzumuten.

Die Polizei reagiert schnell. Von der nahen Brücke rasen Einsatzfahrzeuge heran und der Durchbruchsversuch verläuft im Sande. Schneebälle fliegen und das Gewaltpotential ist deutlich zu spüren. Die Lage bleibt zwar ruhig aber wir entscheiden dennoch, uns der Versammlung am Wiener Platz anzuschließen.

Die Polizei überwachte Bahnhof, Gleise und Unterführungen (Foto: Anonymus) Die Polizei überwachte Bahnhof, Gleise und Unterführungen (Foto: Anonymus)

Zahlreiche Menschen sind hier unterwegs. Wie viele andere rasten wir und studieren noch einmal den Stadtplan. Inzwischen sollte auch der freie Radiosender „coloRadio“ senden und über den Verlauf der Ereignisse informieren aber die mitgebrachten Handradios erweisen sich als nutzlos. Der Sender ist nicht zu empfangen. Auf dieser Seite des Bahndamms ist die allgemeine Stimmung friedlich und ausgelassen. Während über dem Platz ein Hubschrauber kreist, spielt unten ein kleines Blasorchester rhythmisch-schwungvolle Musik. Um 13 Uhr soll hier ein Konzert Konstantin Weckers stattfinden.

So gern wir auch dem Konzert gelauscht hätten: wir sind mit dem Ziel angereist den Aufmarsch des braunen Mobs zu blockieren und auf der Nordseite des Bahnhofs sind wir zur Untätigkeit verdammt. Bewegung hält an diesem kalten Samstag warm und nach einiger Zeit lassen wir Teile unserer Gruppe bei anderen Nordthüringern zurück und versuchen einen Weg vorbei an den Polizeiblockaden zu finden...
Anonymus

Was den Nordthüringern nach ihrem Aufbruch widerfuhr, lesen sie morgen im zweiten Teil des Erfahrungsberichtes
Autor: nnz

Kommentare
Retupmoc
21.02.2011, 17.03 Uhr
aha Anonymus
Ich fordere Sie hiermit auf, aus eigener Tasche die Steuergelder zu zahlen, die wegen der von Ihnen getätigten Aktivitäten für den Steuerzahler angefallen sind.

Die Rechten zu vertreiben wäre Aufgabe des Staates. Punkt !

Und eines vergessen Sie: Sicher wollen die Rechten instrumentalisieren. Nur man sollte bei allen Verbrechen der Nazis nicht deswegen die anglo/amerikanischen Verbrechen in Dresden oder Nordhausen vergessen.

Auch in Nordhausen haben die schön zielgerichtet auf Frauen und Kinder geschossen, schön im Tiefflug. Bei allem braunen Mist, das sollte auch nicht vergessen werden, wie Menschen sinnlos mit Brandbomen zur Unkenntlichkeit verbrannt wurden.
Kreisbuerger
21.02.2011, 17.50 Uhr
umfassende Informationen
Hier soll also "ein umfassendes Bild der Vorkommnisse des vergangenen Samstags" gezeichnet werden?! Wann gibt es denn dann die Erlebnisberichte des "braunen Mob´s"? Oder wird es dann doch nicht so umfassend?
Der Beitrag ist wohl etwas zu spannend und nervenaufreibend verfasst. Ich bin schon ganz gespannt, ob der Schreiber das noch steigern kann?

Hoffentlich mussten sich die Beteiligten nicht strafbar machen, um ihrem Protest die nötige Gewichtung zu verleihen!
Paulinchen
21.02.2011, 18.26 Uhr
Stadtgeschichte von Nordhausen
Manchmal gibt es Gründe, dass sogar die Geschichte einer Stadt umgeschrieben werden muss. So geschehen am Sockel der Steele vor unseren Rathaus, nach der Wende 1989! Diese erinnert an die 8.800 unschuldigen Opfer, welche am 3.und 4. April 1945 durch englische Bomber beim Angriff ums Leben gekommen sind.

Somit dürfte doch wohl klar sein, dass es nicht die Amerikaner waren, die unsere Heimatstadt bombardiert haben. Außerdem steht häufig in der Tagespresse zu lesen, wenn ein Blindgänger entschärft wurde, dass es sich um eine englische Luftmine, oder Fliegerbombe gehandelt habe. Nur so viel mal zur tatsächlichen Zerstörung von Nordhausen, was aber nicht bedeutet, dass hier nicht auch die Amerikaner gewesen sind. Nur haben diese nicht unsere Stadt bombardiert. Das trifft nach meinen Kenntnisstand auch für Dresden zu. Weshalb hat sonst Großbritannien (die Stadt Coventry) das Kreuz für die wieder aufgebaute Frauenkirche an die Stadt Dresden gespendet? Eine Bemerkung zum Aufmarsch in Dresden sei mir an dieser Stelle noch gestattet. Ich kann unseren Staat hierzu nicht verstehen. Wenn ich diese Partei (NPD) nun mal nicht mag, dann sollte ich sie einfach verbieten. Dies ist aber ja mal beim ersten Anlauf gescheitert. Einen Zweiten hat es bislang noch nicht gegeben, bzw. niemand traut sich offensichtlich dazu erneut den ersten Schritt zu gehen. Wie wäre es denn, wenn alle unsere Volksparteien sich mal einig wären und beweisen gemeinsam, dass sie die einzigsten Alternativen zur NPD sind? Das würde bedeuten, eine Politik für und mit den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland zu gestalten, die sich wirklich auf das Wohl des Volkes bezieht.Vielleicht würde eine solche Politik bei den nächsten Wahlen dann auch angemessen mit Stimmen honoriert. Dann würden auch unsere Polizisten, wie wieder in Dresden geschehen, nicht buchstäblich verheizt.
Fragensteller
22.02.2011, 12.49 Uhr
Zivilcourage
Der Verfasser des Textes hat an keiner Stelle die geschichtlichen Ereignisse in Frage gestellt oder gar herabgewürdigt. Ich glaube, uns allen ist klar, dass in der Zeit bis 1945 (in der die meisten von uns noch nicht einmal gelebt haben) Dinge geschehen sind, die sich niemals wiederholen dürfen! das steht aber hier gar nicht zur Debatte.

Wenn allerdings eine Gruppierung von Menschen genau dafür demonstriert ("Nationalsozialismus JETZT!"), finde ich es richtig und wichtig, sich dagegen einzusetzen. Und wenn es sich nicht von staatlicher Seite verhindern lässt, dann eben durch friedlichen Protest.

Zivilcourage statt kollektivem Wegschauen! (Bis jetzt finde ich auch keine Hinweise im Text, die auf mögliche Straftaten schließen lassen, die von Nordthüringern dabei begangen wurden.)

Die Ausschreitungen, die am Samstag von beiden extremen Lagern ausgingen, sind eine Randerscheinung, die sich anscheinend (leider!) nicht verhindern lässt. Das muss man auch auf keinen Fall gutheißen.
Trotzdem habe ich großen Respekt vor allen friedlichen Demonstranten, die sich nicht haben vertreiben lassen, trotz massiver Polizeigewalt.

Und zu den "umfassenden Informationen": wenn irgendjemand der "anderen Seite" einen Bericht in einem vernünftigen Tonfall schreiben würde, ich würde ihn sogar lesen. Bis jetzt habe ich allerdings noch nichts in der Art gefunden, außer wüsten Schimpftiraden und Parolen. Ich warte also noch auf sachliche Texte, um mir ein Urteil bilden zu können.

Jedenfalls bin ich erstmal gespannt auf den 2. Teil des Berichtes von Anonymus.
Retupmoc
22.02.2011, 13.51 Uhr
Der Witz war jetzt gut,
Sie sagen: "Ich habe in dem Text von Anonymus noch keine Hinweise auf Straftaten gefunden, die von Nordthüringer Bürgern begangen wurden "!

Das ist der Joke des Jahres. Glauben Sie im Ernst, wenn Anonymus oder Mitstreiter Straftaten begangen hätten, das Sie diese hier für die Polizei zum Nachlesen veröffentlichen? Veilleicht hat er welche begangen, vielleicht auch nicht!

Fakt ist aber, das Straftaten von einer ganzen Reihe von Gegendemonstranten begangen wurden sind. Diese reichten bis zum Mordversuch an Polizisten. Wer dies für gut heisst ist für mich Mittäter. Ich habe bei Anonymus Artikel keinen Satz gefunden, indem man sich von den verübten Straftaten distanziert. So unterstützt man diese Randalierer.

PS. Wenn Sie gestern Fakt beim MDR gesehen haben sollten, ist übrigens auch eine Sitzblockade schon als Straftat anzusehen. Wohin führt es denn, wenn man gegen jede andere Meinung mobil macht? ( Ich bin nicht übrigens nicht für die Nazis !, aber sie haben in einem Rechtsstaat das Recht auf ihre Meinung, solange sie nicht gegen das Gesetz verstoßen - und das haben Sie in keinster Weise so weit ich das aus der Presse entnehmen konnte. Das man sich verteidigt wenn man vom scharzen Block angegriffen wird, dürfte wohl klar sein)

Wessen Meinung verbieten wir denn nach den Rechten? Die der Linken, die der Schwulen oder die der Ökofreaks? Wer ist dann als nächster dran?

Man hätte Sie in Ruhe demonstrieren lassen sollen, ihnen in den Medien keine Bühne geben sollen und die Dresdener Bürger hätten Sie ignoriert. So wäre das schlimm für die Rechten gewesen. So haben Sie eine Bühne bekommen und die Linken haben dafür gesorgt. Glückwunsch ! Aber das will sicher nicht in den Kopf von einem schwarzen-Block- Mitglied?

Ich persönlich könnte auf den zweiten Teil verzichten, denn man sollte auch den Linksradikalen und deren Symphatisanten keine Bühne geben.
L.J.
22.02.2011, 14.33 Uhr
bezeichnend
...ist es alle male wieder, wie hier die diskussion verläuft. im endeffekt wie unter vielen anderen artikeln in dieser lesenswerten onlinezeitung.

ich bin dankbar für den bericht und das aus mehreren gründen:

-> der für mich erste und wichtigste: es ist für mich erfreulich zu sehen und zu lesen; es gibt auch hier menschen, die sich für ein leben ohne neonazis, antisemitismus und gruppenbezogene menschenfeindlichkeit einsetzen, denn dafür steht dieserzeit die extrem rechte szene in all ihren unterschiedlichen facetten. eine npd mag zwar, wie andere extrem rechte parteien auch, nicht verboten sein und in landtagen oder in kummunalparlamenten vertreten sein, aber das bedeutet in keinem fall, dass sie demokratisch ist. wie sagte es udo voigt, der vors. der npd, einmal so schön in ein mikro: "die brd gehört abgewickelt, wie einst die ddr." und im npd-programm lässt sich gut nachlesen was uns erwarten würde, wenn sie es schaffen würden.

-> als zweiten grund möchte ich gerne das "mut-machen"-prinzip anführen. zu wenige sind über die umtriebe der extrem rechten personen und organisationen aufgeklärt und nochh weniger über deren ideologie und vor allem was sich hinter achso unscheinbaren worten wie "volksgemeinschaft" oder "heimatschutz" verbirgt oder was in ihren augen "meinungsfreiheit" bedeutet, auf die sie sich so gerne berufen und sich als vermeintliche "opfer" in deren beschneidung gerieren...das sie selbige nach machtergreifung abschaffen würden lässt sich ebenso wie deren andere definitionen in ihren papieren nachlesen.
es macht also mut, dass es hier vor ort personen gibt, die sich damit beschäftigen und versuchen dagegen wirksam vorzugehen und somit auch den anreiz geben sich mit einzubringen und zu engagieren. ob anhand eines vortrages oder einer weiterbildung oder aber eben der friedlichen blockade eines nazi-aufmarsches. er mag juristisch zugelassen sein aber das bedeutet nicht, dass er nicht kritiklos und ohne gegenprotest geduldet wird, eben wie die menschenfeindliche ideologie, die hinter den aufmärschen und den wirkenden personen steht. sie nennen es den "kampf um die straße", was bei dem vokabular schon tief blicken lässt.

-> als dritten und für hier letzten punkt:
ob in dresden, oder im juni in nordhausen, oder im alltäglichen und sozial/politischen leben dürfen die einstellungen und äusserungen keinen raum bekommen. sie sind und bleiben menschenfeindlich, dessen muss sich jede und jeder immer wieder gewiss sein und werden. auch wenn sie als partei in parlamenten sitzen, sie vertreten eine dem grundgesetz zuwiederlaufende ideologie.

ich entschuldige mich für das doch etwas länger gewordene kommentar, aber so wie hier manche personen argumentieren und versuchen zu verharmlosen oder unter dem deckmantel der totalitarismus/extremismusdoktrin gleichzusetzen (was sie in den meisten fällen bestimmt noch nicht einmal bewusst tun), sowas kann nicht kommentarlos stehen gelassen werden.

ich bedanke mich für die möglichkeit, L.J.
Retupmoc
22.02.2011, 16.56 Uhr
Ich gebe Ihnen in allen Punkten recht, L.J.
nur es kann doch wohl nicht sein, das zum Durchsetzen einer durchaus richtigen Ansicht Polizisten ( also normale Bürger, Familienväter usw. ) geprügelt, beworfen und geschlagen werden. Darum gehts es. Ich kann nicht Nazis bekämpfen und dabei Unschuldige ( denn sie verrichten nur ihre Arbeit ) körperlich angreifen, bis zu Mordversuchen. Das die Ansichten der Nazis falsch sind ist unbestritten. Nur Gewalt geht auch nicht, denn dann steht man auf der gleichen Stufe. Wie gehts es denn weiter?

Weil ich gegen den Autohof bin, darf ich dann Brandsätze auf Polizisten schmeissen. Und weil ich gegen Merkels Krieg in Afghanistan bin darf ich Steine auf Polizisten schmeissen? ja gehts denn noch?

Die Politik muss einfach die NPD verbieten aber das kann sie nicht weil die Hälfte davon Merkels V - Männer sind.
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