Mo, 15:45 Uhr
21.02.2011
Dresden: Ein Erfahrungsbericht (1)
Es sollte Europas größter Naziaufmarsch werden. Doch wie schon im vergangenen Jahr kamen tausende Menschen zusammen, um die Aktionen des braunen Mobs zu verhindern. Unter den 20.000 Gegendemonstranten befanden sich auch rund 40 Nordthüringer. Die nnz mit einem Erfahrungsbericht vom 19. Februar in Dresden...
Das Anliegen dieses Erfahrungsberichts ist es nicht, nur die Eindrücke eines einzelnen zu schildern, sondern nach Möglichkeit ein umfassendes Bild der Vorkommnisse des vergangenen Samstags zu zeichnen. Um dies zu ermöglichen, wurden Tickermeldungen überregionaler Nachrichtenportale sowie Twitter-Feeds herangezogen.
4:00 Uhr, Nordhausen
Das Klingeln des Weckers beendet eine kurze Nacht. Die nötigen Utensilien für den bevorstehenden Tag, ausreichend Verpflegung, warme Kleidung, Stadtpläne, etc., wurden bereits am Vorabend gepackt, so dass die frühen Morgenstunden vor der Abfahrt nicht in Hektik und Chaos untergehen. Kurz vor dem Aufbruch werden noch einmal schnell die einschlägigen Nachrichtenportale und Twitter-Kanäle überprüft um auf dem neuestem Stand zu sein.
Im vergangenen Jahr war es knapp 12.000 Gegendemonstranten erstmals gelungen, den traditionellen Naziaufmarsch am 13. Februar zu blockieren. Am 13. Februar Gedenken die Dresdner der Bombardierung ihrer Stadt im zweiten Weltkrieg. Beim Versuch der Alliierten die Brücken über die Elbe mit Bomben zu zerstören, wurde vor allem die Dresdner Altstadt in Mitleidenschaft gezogen. Die Stadt brannte nieder, 20.000 bis 25.000 Menschen kamen ums Leben.
Die extreme Rechte nutzt diesen Tag seit Jahren für propagandistische Zwecke. Auf Transparenten und Plakaten heißt es dann, es seien 250.000 unschuldige Opfer im Bombenholocaust umgekommen und die Bombardierung sei eine Racheaktion und ein Kriegsverbrechen gewesen. Das Schicksal der Stadt Dresden wird instrumentalisiert, Geschichte nach Belieben umgedeutet, Täter werden zu Opfern und die Verbrechen des Dritten Reiches werden von denen relativiert, in deren Köpfen auch nach über 60 Jahren noch der Geist des Nationalsozialismus fortlebt.
Aufruf des Bündnisses "Dresden-Nazifrei" (Foto: Bündnis "Dresden-Nazifrei")
Das Bündnis Dresden-Nazifrei, ein Zusammenschluss aus zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen, hatte 2010 erstmals zur Blockade des größten Naziaufmarsches in Deutschland aufgerufen. Einem angemeldeten Marsch der versammelten Neonaziszene aus Deutschland und dem europäischen Ausland sollte ziviler Ungehorsam und friedlicher Protest entgegengesetzt werden. Die Nazis wurden am Bahnhof der Dresdner Neustadt blockiert und konnten nicht marschieren.
Auf den Erfolg des vergangenen Frühjahres folgte die juristische Niederlage in diesem Januar: das Oberverwaltungsgericht Bautzen entschied, dass die Polizei das Demonstrationsrecht der extremen Rechten gegen alle Widerstände hätte durchsetzen müssen.
In diesem Jahr sollte daher die Elbe als natürliche Grenze genutzt werden, um beide Lager zu strikt zu trennen und den Marsch der Nazis so zu ermöglichen und etwaige Blockaden von vornherein zu verhindern.
Die Stadt Dresden hat am Freitag versucht die drei angemeldeten Veranstaltungen der Nazis auf eine stationäre Kundgebung zu beschränken, aber noch in der Nacht klagen die Veranstalter gegen die Pläne der Stadt. Nach dem Debakel des vergangenen Jahres wollen sie marschieren. Genauere Informationen zum Ausgang des Rechtsstreits, und somit zu der zu erwartenden Lage in Dresden sind aber am morgen noch nicht zu bekommen. Der Computer wird ausgeschaltet, es geht auf Richtung Hauptbahnhof.
5:15 Uhr, Nordhausen, Hauptbahnhof
Den Schlaf noch in den Knochen, erreichen die Reisenden einzeln oder in kleinen Gruppen den Reisebus, der uns nach Dresden bringen soll. Ein Streifenwagen der Polizei ist ebenfalls vor Ort. Die Beamten sollen als Geleitschutz fungieren und den Bus bis zur Autobahnauffahrt begleiten. Da sich auch aus anderen Städten Nordthüringens ebenfalls Demonstrationsteilnehmer angemeldet haben, wird es zunächst über die Landstraße gehen.
5:30 Uhr, Abfahrt Nordhausen
Noch ist der Bus nicht voll besetzt, aber die Mitreisenden bilden schon jetzt ein breites Spektrum der Bevölkerung ab. Vertreter der Grünen und der Linken, Studenten, Rentner, berufstätige Männer und Frauen: sie alle haben die behagliche Wärme der heimischen Betten verlassen, um in Dresden Gesicht zu zeigen und nach Möglichkeit den Aufmarsch der Nazis zu blockieren.
Ob das gelingen wird bleibt unklar. Die Polizei hat am Vortag angekündigt die Busse der Gegendemonstranten schon an den Autobahnabfahrten aufzuhalten und umzuleiten. Sollte dies passieren, haben die Organisatoren der Gegenveranstaltung damit gedroht die Autobahn zu blockieren und zu Fuß in die Stadt zu gelangen. Ein solches Unterfangen ist mit einem einzelnen Bus kaum zu wagen, daher soll sich unser Bus auf einer Raststätte zwischen Leipzig und Dresden einem größeren Konvoi aus Norddeutschland anschließen.
In drei Stunden muss unser Bus am Treffpunkt sein, oder wir müssen zusehen wie wir alleine in die Stadt gelangen. Der Zeitplan ist eng und noch müssen die anderen Mitreisenden aus der Umgebung aufgesammelt werden. Pünktlich um 5:30 starten wir in Richtung Dresden.
6:00 Uhr, Landstraße
Im Bus herrscht Ruhe. Von Anspannung ist nichts zu spüren. Mancher reibt sich den Schlaf aus den Augen, reist ein paar Witze oder holt das verpasste Frühstück nach. Der Busfahrer ist dazu verpflichtet während der Fahrt mindestens eine halbstündige Pause einzulegen. Die Sorgen um den Zeitplan zerstreut diese Information nicht gerade. Die Hälfte der Pause hat er schon am Nordhäuser Bahnhof hinter sich gebracht, eine weitere muss folgen, das Gesetz schreibt es so vor.
7:00 Uhr, Rastplatz
Wir sind unserem Zeitplan zehn Minuten voraus. Man wärmt sich mit Kaffee und raucht noch eine letzte Zigarette und nach einer Viertelstunde heißt es wieder ab in den Bus. Vielleicht wird der Konvoi ja doch noch erreicht.
7:20 Uhr, Auf der Autobahn
Die Busleiter informieren uns über das geplante Vorgehen. Von uns geht keine Eskalation aus. Unsere Blockaden sind Menschenblockaden, keine Materialblockaden. Wir wollen den Marsch der Nazis Gewaltfrei mit friedlichen Mitteln verhindern, fassen die Busleiter die Strategie des Bündnisses Dresden-Nazifrei zu Beginn noch einmal zusammen. Anschließend wird Kartenmaterial ausgegeben und es werden verschiedene vorstellbare Szenarien durchgegangen.
Besonders wichtig ist den Busleitern, dass wir Bezugsgruppen bilden. Da es utopisch wäre zu glauben man könne die ganze Reisegruppe den Tag über zusammenzuhalten, sollen Kleingruppen gebildet werden deren Mitglieder gegenseitig aufeinander acht geben und keiner allein durch Dresden spazieren muss.
Ich schließe mich einer Gruppe von sechs jungen Leuten an und wir denken uns einen Fantasienamen aus, den wir Notfalls brüllen können, sollten wir uns in der Menge einmal verlieren. Es folgt die Rechtsbelehrung und was zu tun ist, wenn man in Gewahrsam genommen werden sollte.
Falls wir noch auf den Konvoi treffen und die Abfahrten abgeriegelt sein sollten, werden die drei vordersten und die drei hintersten Busse alle Fahrbahnen blockieren, so dass die mittleren Busse gefahrlos anhalten, die Demonstranten auf der Autobahn aussteigen und ihren Weg Richtung Dresdner Innenstadt zu Fuß fortsetzen können. Ein Mitreisender beschreibt es so: Wenn wir Glück haben, steigen wir an einem der Blockadepunkte aus und bleiben dort den ganzen Tag. Wenn wir Pech haben verbringen wir den Tag damit uns auf der Autobahn die Beine in den Bauch zu stehen.
8:30 Uhr, Auf der Autobahn
Wir kommen am vereinbarten Treffpunkt vorbei aber wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat, ist der Nord-Konvoi längst durch und bereits in Dresden angekommen. Erste Meldungen über Twitter erreichen uns. Die geplante Zusammenlegung der Neonaziveranstaltungen ist vor Gericht gescheitert und es wird statt einer stationären Kundgebung nun doch drei Veranstaltungen geben. Einige Dresdner die seit den frühen Morgenstunden eine der Elbbrücken besetzen um den Weg in den Süden der Stadt frei zu halten, sind eingekesselt worden. Der Nordthüringer Bus ist allein auf weiter Flur. Es sieht nicht gut aus.
9:20 Uhr, Kurz vor Dresden
Weitere schlechte Nachrichten erreichen uns. Die Autobahnabfahrten werden nach und nach von der Polizei dicht gemacht und wir konnten uns keinem Konvoi anschließen. Es wird beraten was nun zu tun ist. Sollen wir dennoch versuchen in die Innenstadt zu gelangen? Steigen wir vielleicht auch alleine auf der Autobahn aus? Oder werden wir nicht umhin kommen, in der Dresdner Neustadt am nördlichen Elbufer und somit weitab von den eigentlichen Aktionen zu protestieren?
9:30 Uhr, Kurz vor Dresden
Alle machen sich bereit kurzfristig auszusteigen. Draußen ist die Landschaft weiß. Minus drei Grad erwarten uns. An einer Abfahrt wurde unser Bus bereits von der Polizei aufgehalten. Wie es aussieht werden wir wohl doch in der Neustadt halten müssen.
Währenddessen in Dresden...
Laut Medienberichten soll der Bereich südlich des Hauptbahnhofes als zentrales Aufmarschgebiet der Nazis genutzt werden. Die Konvois aus Norddeutschland und Berlin haben es, ohne von der Polizei aufgehalten worden zu sein, in die Dresdner Innenstadt geschafft. Rund 500 Antifaschisten, Gewerkschafter der IG Metall und Mitglieder der Partei Die Linke sind über die Stadtteile Löbtau und Cotta zum Campus der Universität südlich des Hauptbahnhofs gezogen und werden dort von knapp 200 Polizeibeamten eingekesselt.
Die Nazis sollen zwei Kundgebungen und einen Marsch abhalten dürfen. Der soll sie vom Nürnberger Ei über die Fritz-Löffler Straße in Richtung südlicher Hauptbahnhof führen. Die Zugänge zur Altstadt aus Richtung Norden sind abgesperrt und auch das zweite Hindernis, der Bahndamm der den Süden Dresdens durchzieht wird systematisch abgeriegelt.
10:00 Uhr, Abfahrt Dresden
Was derzeit in Dresden geschieht ist den Businsassen nicht bekannt. Die Informationen tröpfeln spärlich herein, das Lagebild ist unklar. Wie es aussieht könnte es uns aber nun doch gelingen in den Süden Dresdens zu kommen. Wir haben uns in einen kleinen Konvoi von vier Bussen eingereiht und befinden uns mittlerweile im Stadtgebiet. Da wir aber nicht wissen wie weit wir in die Stadt hineingelassen werden, wird der Plan gefasst sich einer der vielen Mahnwachen der Dresdner Kirchen anzuschließen.
10-12.00 Uhr, Dresden Löbtau, Südvorstadt
Glück gehabt. Einer der Busse die vor uns fuhren, wurde von der Polizei herausgezogen, uns hingegen wurde die Weiterfahrt gewährt. Wir steigen im Stadtteil Löbtau aus dem Bus und versuchen uns zu orientieren. Zwischen uns und den Blockadepunkten liegt ein kleiner Seitenarm der Elbe, der nur an einigen wenigen Punkten überquert werden kann. Das Busplenum beschließt einen nahe gelegenen Infopunkt des Bündnisses Dresden-Nazifrei anzusteuern und weitere Informationen einzuholen. Dort heißt es zunächst warten. Wie wir später erfahren werden handelt es sich bei dem Infopunkt um ein alternatives Projekt das als Praxis bekannt ist, und welches im Verlauf des Tages noch einmal ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit rücken wird.
Schnell zeigt sich das die Reisegruppe nicht zusammenbleiben wird. Während unsere Bezugsgruppe noch einmal bei einer Dresdnerin nach dem besten Weg und aktuellen Informationen nachfragt, spaltet sich der größere Teil der Gruppe ab. Unsere Bezugsgruppe zieht also alleine Richtung Südvorstadt. Von anderen Demonstranten oder Neonazis ist bis auf vereinzelte, kleine Grüppchen nicht viel zu sehen. Auch die Polizei ist in diesem Teil der Stadt noch nicht sehr präsent. Wir versuchen über die Nossener Brücke in Richtung Hauptbahnhof zu gelangen doch schon von weitem ist absehbar, dass die Brücke an ihrem Endpunkt abgesperrt ist. Hubschrauber donnern über uns hinweg. Durch Nebenstraßen geht es weiter bis zur Budapester Brücke. Der südliche Hauptbahnhof ist nur wenige Querstraßen entfernt, die jedoch alle abgeriegelt sind, wie uns zwei vorbeiziehende Jugendliche versichern.
Die Gruppe ist sich uneins über das weitere vorgehen. Sollen wir es vielleicht doch in den Seitenstraßen versuchen und uns einen Weg durch die Hinterhöfe suchen oder uns lieber den Demonstranten an der Nordseite des Bahnhofs anschließen? Wir kennen die Gegend nicht und wissen nicht wo sich größere Menschengruppen sammeln, geschweige denn wo die Blockadepunkte zu finden sind. Noch während wir uns beraten schließt die Polizei die Brücke und wir finden uns nördlich der Gleise wieder. Ein taktischer Fehler wie sich bald herausstellt. Alle Blockaden befinden sich südlich des Bahndamms. Eine kleine Gruppe Demonstranten teilt unser Schicksal. Wir warten ab und versuchen uns ein Bild der Lage zu verschaffen.
Nach kurzer Zeit treffen wir wieder auf den Rest unserer Reisegruppe und wir schließen uns einem stetigen Strom von Menschen an, der Richtung Hauptbahnhof zieht.
Währenddessen anderswo in Dresden
Laut dem Bündnis Dresden-Nazifrei befinden sich inzwischen rund 10.000 Gegendemonstranten in der Stadt. Es zeichnet sich ab das die Strategie der Polizei die Elbe als natürliche Barriere zu nutzen gescheitert ist. Kleinere Spontandemonstrationen und größere Gruppen machen sich im Laufe des Vormittages aus der Neustadt auf in Richtung Hauptbahnhof.
Am DGB Gewerkschaftshaus am Schützenplatz hätte ursprünglich eine Mahnwache stattfinden sollen, wurde jedoch wegen der räumlichen Nähe zu den Aufmarschplätzen der Neonazis kurzfristig verboten. Stattdessen hält man dort jetzt eine Landesbezirksvorstandssitzung ab, an der auch verschiedene Bundespolitiker, darunter Gesine Lötzsch (Die Linke), Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Martin Dulig (SPD) und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann teilnehmen.
Hövelmann sagt gegenüber der Zeitung taz: "Wer sich die Situation anschaut, kann nur mit dem Kopf schütteln. Eigentlich müsste es andersherum sein. Der Staat müsste doch diejenigen schützen, die den Rechtsstaat schützen wollen." Die Situation sei insgesamt nicht ungefährlich. Denn die Präsenz der Neonazis werde in der Gesellschaft immer normaler, so Hövelmann weiter.
In der Südvorstadt wird die Situation zunehmend unübersichtlicher. Die Polizei, die bei einem kleineren Naziaufmarsch am 13.Februar noch rund 5.500 Einsatzkräfte ins Feld schicken konnte, hat aufgrund verschiedener Großveranstaltungen (wie etwa Fußballspielen) gerade einmal 4.500 Beamte in Dresden zusammenziehen können. Die Ordnungsbehörden konzentrieren sich darauf die Wege zum Nürnberger Platz und die Unterführungen des Bahndamms abzuschirmen.
Der Druck auf die Polizei wächst zusehends. Gegen 11 Uhr gelingt es Nazigegnern die Blockaden in der Bayreuther Straße zu überwinden. Erste Steine fliegen und die Polizei macht gebrauch vom Wasserwerfer. An der Technischen Universität wird Tränengas eingesetzt. In der gesamten Südvorstadt sind anscheinend kleinere Gruppen von Demonstranten unterwegs und versuchen Richtung Nürnberger Platz zu gelangen. An der Ecke Franklin-Straße/Strehlener Straße, südöstlich des Hauptbahnhofs haben sich mehrere Demonstranten gesammelt und wollen Richtung Bahnhof weiterziehen werden jedoch von der Polizei aufgehalten. Aufforderungen sich auf die Nordseite des Bahndamms zurückzuziehen bleiben Erfolglos.
Vor der Frauenkirche, der Kreuzkirche und zahlreichen weiteren Gotteshäusern finden Mahnwachen statt, an denen sich auch die Politprominenz beteiligt. Am Bahnhof Mitte wie auch nördlich des Hauptbahnhofs haben sich ebenfalls mehrere tausend Menschen gesammelt. Die Stimmung hier ist ausgelassen. Gegen Mittag ist klar, dass sich die Rechtsextremen am Hauptbahnhof sammeln werden. Größere Demonstrationszüge ziehen vom Bahnhof Mitte und aus Richtung Neustadt friedlich Richtung Wiener Platz.
Ganz anders die Situation in der Südvorstadt. In der Strehlener Straße und auf dem Münchner Platz, der nur wenige Meter vom Nürnberger Platz entfernt ist, haben sich erste Sitzblockaden gebildet, die zwar von der Polizei eingekesselt aber nicht geräumt werden. Wasserwerfer fahren auf. In der Reichenbachstraße brennen derweil die ersten Barrikaden und die Demonstranten versuchen sich zu sammeln.
12.00 – 13.00 Uhr, Hauptbahnhof, Nordseite
Auf unserem Weg in Richtung Hauptbahnhof haben sich versprengte Teilnehmer aus dem Nordthüringer Bus unserer Gruppe angeschlossen, darunter ein älterer Herr. Auf dem Wiener Platz sind schon von weitem größere Menschenansammlungen auszumachen. Während wir in einigem Abstand zu den Bahngleisen zum Bahnhof ziehen, kommt plötzlich Hektik auf. Mehrere Menschen kommen uns aus Richtung des Hauptbahnhofes entgegen gerannt und versuchen an einem unüberwachten Abschnitt des Bahndamms über die Gleise zu gelangen. Kurz wird überlegt ob man sich dem Durchbruchsversuch anschließen sollte, was jedoch schnell verworfen wird. Die Gruppe muss zusammenbleiben und dem älteren Herrn wäre diese Anstrengung nicht zuzumuten.
Die Polizei reagiert schnell. Von der nahen Brücke rasen Einsatzfahrzeuge heran und der Durchbruchsversuch verläuft im Sande. Schneebälle fliegen und das Gewaltpotential ist deutlich zu spüren. Die Lage bleibt zwar ruhig aber wir entscheiden dennoch, uns der Versammlung am Wiener Platz anzuschließen.
Zahlreiche Menschen sind hier unterwegs. Wie viele andere rasten wir und studieren noch einmal den Stadtplan. Inzwischen sollte auch der freie Radiosender coloRadio senden und über den Verlauf der Ereignisse informieren aber die mitgebrachten Handradios erweisen sich als nutzlos. Der Sender ist nicht zu empfangen. Auf dieser Seite des Bahndamms ist die allgemeine Stimmung friedlich und ausgelassen. Während über dem Platz ein Hubschrauber kreist, spielt unten ein kleines Blasorchester rhythmisch-schwungvolle Musik. Um 13 Uhr soll hier ein Konzert Konstantin Weckers stattfinden.
So gern wir auch dem Konzert gelauscht hätten: wir sind mit dem Ziel angereist den Aufmarsch des braunen Mobs zu blockieren und auf der Nordseite des Bahnhofs sind wir zur Untätigkeit verdammt. Bewegung hält an diesem kalten Samstag warm und nach einiger Zeit lassen wir Teile unserer Gruppe bei anderen Nordthüringern zurück und versuchen einen Weg vorbei an den Polizeiblockaden zu finden...
Anonymus
Was den Nordthüringern nach ihrem Aufbruch widerfuhr, lesen sie morgen im zweiten Teil des Erfahrungsberichtes
Autor: nnzDas Anliegen dieses Erfahrungsberichts ist es nicht, nur die Eindrücke eines einzelnen zu schildern, sondern nach Möglichkeit ein umfassendes Bild der Vorkommnisse des vergangenen Samstags zu zeichnen. Um dies zu ermöglichen, wurden Tickermeldungen überregionaler Nachrichtenportale sowie Twitter-Feeds herangezogen.
4:00 Uhr, Nordhausen
Das Klingeln des Weckers beendet eine kurze Nacht. Die nötigen Utensilien für den bevorstehenden Tag, ausreichend Verpflegung, warme Kleidung, Stadtpläne, etc., wurden bereits am Vorabend gepackt, so dass die frühen Morgenstunden vor der Abfahrt nicht in Hektik und Chaos untergehen. Kurz vor dem Aufbruch werden noch einmal schnell die einschlägigen Nachrichtenportale und Twitter-Kanäle überprüft um auf dem neuestem Stand zu sein.
Im vergangenen Jahr war es knapp 12.000 Gegendemonstranten erstmals gelungen, den traditionellen Naziaufmarsch am 13. Februar zu blockieren. Am 13. Februar Gedenken die Dresdner der Bombardierung ihrer Stadt im zweiten Weltkrieg. Beim Versuch der Alliierten die Brücken über die Elbe mit Bomben zu zerstören, wurde vor allem die Dresdner Altstadt in Mitleidenschaft gezogen. Die Stadt brannte nieder, 20.000 bis 25.000 Menschen kamen ums Leben.
Die extreme Rechte nutzt diesen Tag seit Jahren für propagandistische Zwecke. Auf Transparenten und Plakaten heißt es dann, es seien 250.000 unschuldige Opfer im Bombenholocaust umgekommen und die Bombardierung sei eine Racheaktion und ein Kriegsverbrechen gewesen. Das Schicksal der Stadt Dresden wird instrumentalisiert, Geschichte nach Belieben umgedeutet, Täter werden zu Opfern und die Verbrechen des Dritten Reiches werden von denen relativiert, in deren Köpfen auch nach über 60 Jahren noch der Geist des Nationalsozialismus fortlebt.

Auf den Erfolg des vergangenen Frühjahres folgte die juristische Niederlage in diesem Januar: das Oberverwaltungsgericht Bautzen entschied, dass die Polizei das Demonstrationsrecht der extremen Rechten gegen alle Widerstände hätte durchsetzen müssen.
In diesem Jahr sollte daher die Elbe als natürliche Grenze genutzt werden, um beide Lager zu strikt zu trennen und den Marsch der Nazis so zu ermöglichen und etwaige Blockaden von vornherein zu verhindern.
Die Stadt Dresden hat am Freitag versucht die drei angemeldeten Veranstaltungen der Nazis auf eine stationäre Kundgebung zu beschränken, aber noch in der Nacht klagen die Veranstalter gegen die Pläne der Stadt. Nach dem Debakel des vergangenen Jahres wollen sie marschieren. Genauere Informationen zum Ausgang des Rechtsstreits, und somit zu der zu erwartenden Lage in Dresden sind aber am morgen noch nicht zu bekommen. Der Computer wird ausgeschaltet, es geht auf Richtung Hauptbahnhof.
5:15 Uhr, Nordhausen, Hauptbahnhof
Den Schlaf noch in den Knochen, erreichen die Reisenden einzeln oder in kleinen Gruppen den Reisebus, der uns nach Dresden bringen soll. Ein Streifenwagen der Polizei ist ebenfalls vor Ort. Die Beamten sollen als Geleitschutz fungieren und den Bus bis zur Autobahnauffahrt begleiten. Da sich auch aus anderen Städten Nordthüringens ebenfalls Demonstrationsteilnehmer angemeldet haben, wird es zunächst über die Landstraße gehen.
5:30 Uhr, Abfahrt Nordhausen
Noch ist der Bus nicht voll besetzt, aber die Mitreisenden bilden schon jetzt ein breites Spektrum der Bevölkerung ab. Vertreter der Grünen und der Linken, Studenten, Rentner, berufstätige Männer und Frauen: sie alle haben die behagliche Wärme der heimischen Betten verlassen, um in Dresden Gesicht zu zeigen und nach Möglichkeit den Aufmarsch der Nazis zu blockieren.
Ob das gelingen wird bleibt unklar. Die Polizei hat am Vortag angekündigt die Busse der Gegendemonstranten schon an den Autobahnabfahrten aufzuhalten und umzuleiten. Sollte dies passieren, haben die Organisatoren der Gegenveranstaltung damit gedroht die Autobahn zu blockieren und zu Fuß in die Stadt zu gelangen. Ein solches Unterfangen ist mit einem einzelnen Bus kaum zu wagen, daher soll sich unser Bus auf einer Raststätte zwischen Leipzig und Dresden einem größeren Konvoi aus Norddeutschland anschließen.
In drei Stunden muss unser Bus am Treffpunkt sein, oder wir müssen zusehen wie wir alleine in die Stadt gelangen. Der Zeitplan ist eng und noch müssen die anderen Mitreisenden aus der Umgebung aufgesammelt werden. Pünktlich um 5:30 starten wir in Richtung Dresden.
6:00 Uhr, Landstraße
Im Bus herrscht Ruhe. Von Anspannung ist nichts zu spüren. Mancher reibt sich den Schlaf aus den Augen, reist ein paar Witze oder holt das verpasste Frühstück nach. Der Busfahrer ist dazu verpflichtet während der Fahrt mindestens eine halbstündige Pause einzulegen. Die Sorgen um den Zeitplan zerstreut diese Information nicht gerade. Die Hälfte der Pause hat er schon am Nordhäuser Bahnhof hinter sich gebracht, eine weitere muss folgen, das Gesetz schreibt es so vor.
7:00 Uhr, Rastplatz
Wir sind unserem Zeitplan zehn Minuten voraus. Man wärmt sich mit Kaffee und raucht noch eine letzte Zigarette und nach einer Viertelstunde heißt es wieder ab in den Bus. Vielleicht wird der Konvoi ja doch noch erreicht.
7:20 Uhr, Auf der Autobahn
Die Busleiter informieren uns über das geplante Vorgehen. Von uns geht keine Eskalation aus. Unsere Blockaden sind Menschenblockaden, keine Materialblockaden. Wir wollen den Marsch der Nazis Gewaltfrei mit friedlichen Mitteln verhindern, fassen die Busleiter die Strategie des Bündnisses Dresden-Nazifrei zu Beginn noch einmal zusammen. Anschließend wird Kartenmaterial ausgegeben und es werden verschiedene vorstellbare Szenarien durchgegangen.
Besonders wichtig ist den Busleitern, dass wir Bezugsgruppen bilden. Da es utopisch wäre zu glauben man könne die ganze Reisegruppe den Tag über zusammenzuhalten, sollen Kleingruppen gebildet werden deren Mitglieder gegenseitig aufeinander acht geben und keiner allein durch Dresden spazieren muss.
Ich schließe mich einer Gruppe von sechs jungen Leuten an und wir denken uns einen Fantasienamen aus, den wir Notfalls brüllen können, sollten wir uns in der Menge einmal verlieren. Es folgt die Rechtsbelehrung und was zu tun ist, wenn man in Gewahrsam genommen werden sollte.
Falls wir noch auf den Konvoi treffen und die Abfahrten abgeriegelt sein sollten, werden die drei vordersten und die drei hintersten Busse alle Fahrbahnen blockieren, so dass die mittleren Busse gefahrlos anhalten, die Demonstranten auf der Autobahn aussteigen und ihren Weg Richtung Dresdner Innenstadt zu Fuß fortsetzen können. Ein Mitreisender beschreibt es so: Wenn wir Glück haben, steigen wir an einem der Blockadepunkte aus und bleiben dort den ganzen Tag. Wenn wir Pech haben verbringen wir den Tag damit uns auf der Autobahn die Beine in den Bauch zu stehen.
8:30 Uhr, Auf der Autobahn
Wir kommen am vereinbarten Treffpunkt vorbei aber wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat, ist der Nord-Konvoi längst durch und bereits in Dresden angekommen. Erste Meldungen über Twitter erreichen uns. Die geplante Zusammenlegung der Neonaziveranstaltungen ist vor Gericht gescheitert und es wird statt einer stationären Kundgebung nun doch drei Veranstaltungen geben. Einige Dresdner die seit den frühen Morgenstunden eine der Elbbrücken besetzen um den Weg in den Süden der Stadt frei zu halten, sind eingekesselt worden. Der Nordthüringer Bus ist allein auf weiter Flur. Es sieht nicht gut aus.
9:20 Uhr, Kurz vor Dresden
Weitere schlechte Nachrichten erreichen uns. Die Autobahnabfahrten werden nach und nach von der Polizei dicht gemacht und wir konnten uns keinem Konvoi anschließen. Es wird beraten was nun zu tun ist. Sollen wir dennoch versuchen in die Innenstadt zu gelangen? Steigen wir vielleicht auch alleine auf der Autobahn aus? Oder werden wir nicht umhin kommen, in der Dresdner Neustadt am nördlichen Elbufer und somit weitab von den eigentlichen Aktionen zu protestieren?
9:30 Uhr, Kurz vor Dresden
Alle machen sich bereit kurzfristig auszusteigen. Draußen ist die Landschaft weiß. Minus drei Grad erwarten uns. An einer Abfahrt wurde unser Bus bereits von der Polizei aufgehalten. Wie es aussieht werden wir wohl doch in der Neustadt halten müssen.
Währenddessen in Dresden...
Laut Medienberichten soll der Bereich südlich des Hauptbahnhofes als zentrales Aufmarschgebiet der Nazis genutzt werden. Die Konvois aus Norddeutschland und Berlin haben es, ohne von der Polizei aufgehalten worden zu sein, in die Dresdner Innenstadt geschafft. Rund 500 Antifaschisten, Gewerkschafter der IG Metall und Mitglieder der Partei Die Linke sind über die Stadtteile Löbtau und Cotta zum Campus der Universität südlich des Hauptbahnhofs gezogen und werden dort von knapp 200 Polizeibeamten eingekesselt.
Die Nazis sollen zwei Kundgebungen und einen Marsch abhalten dürfen. Der soll sie vom Nürnberger Ei über die Fritz-Löffler Straße in Richtung südlicher Hauptbahnhof führen. Die Zugänge zur Altstadt aus Richtung Norden sind abgesperrt und auch das zweite Hindernis, der Bahndamm der den Süden Dresdens durchzieht wird systematisch abgeriegelt.
10:00 Uhr, Abfahrt Dresden
Was derzeit in Dresden geschieht ist den Businsassen nicht bekannt. Die Informationen tröpfeln spärlich herein, das Lagebild ist unklar. Wie es aussieht könnte es uns aber nun doch gelingen in den Süden Dresdens zu kommen. Wir haben uns in einen kleinen Konvoi von vier Bussen eingereiht und befinden uns mittlerweile im Stadtgebiet. Da wir aber nicht wissen wie weit wir in die Stadt hineingelassen werden, wird der Plan gefasst sich einer der vielen Mahnwachen der Dresdner Kirchen anzuschließen.
10-12.00 Uhr, Dresden Löbtau, Südvorstadt
Glück gehabt. Einer der Busse die vor uns fuhren, wurde von der Polizei herausgezogen, uns hingegen wurde die Weiterfahrt gewährt. Wir steigen im Stadtteil Löbtau aus dem Bus und versuchen uns zu orientieren. Zwischen uns und den Blockadepunkten liegt ein kleiner Seitenarm der Elbe, der nur an einigen wenigen Punkten überquert werden kann. Das Busplenum beschließt einen nahe gelegenen Infopunkt des Bündnisses Dresden-Nazifrei anzusteuern und weitere Informationen einzuholen. Dort heißt es zunächst warten. Wie wir später erfahren werden handelt es sich bei dem Infopunkt um ein alternatives Projekt das als Praxis bekannt ist, und welches im Verlauf des Tages noch einmal ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit rücken wird.
Schnell zeigt sich das die Reisegruppe nicht zusammenbleiben wird. Während unsere Bezugsgruppe noch einmal bei einer Dresdnerin nach dem besten Weg und aktuellen Informationen nachfragt, spaltet sich der größere Teil der Gruppe ab. Unsere Bezugsgruppe zieht also alleine Richtung Südvorstadt. Von anderen Demonstranten oder Neonazis ist bis auf vereinzelte, kleine Grüppchen nicht viel zu sehen. Auch die Polizei ist in diesem Teil der Stadt noch nicht sehr präsent. Wir versuchen über die Nossener Brücke in Richtung Hauptbahnhof zu gelangen doch schon von weitem ist absehbar, dass die Brücke an ihrem Endpunkt abgesperrt ist. Hubschrauber donnern über uns hinweg. Durch Nebenstraßen geht es weiter bis zur Budapester Brücke. Der südliche Hauptbahnhof ist nur wenige Querstraßen entfernt, die jedoch alle abgeriegelt sind, wie uns zwei vorbeiziehende Jugendliche versichern.
Die Gruppe ist sich uneins über das weitere vorgehen. Sollen wir es vielleicht doch in den Seitenstraßen versuchen und uns einen Weg durch die Hinterhöfe suchen oder uns lieber den Demonstranten an der Nordseite des Bahnhofs anschließen? Wir kennen die Gegend nicht und wissen nicht wo sich größere Menschengruppen sammeln, geschweige denn wo die Blockadepunkte zu finden sind. Noch während wir uns beraten schließt die Polizei die Brücke und wir finden uns nördlich der Gleise wieder. Ein taktischer Fehler wie sich bald herausstellt. Alle Blockaden befinden sich südlich des Bahndamms. Eine kleine Gruppe Demonstranten teilt unser Schicksal. Wir warten ab und versuchen uns ein Bild der Lage zu verschaffen.
Nach kurzer Zeit treffen wir wieder auf den Rest unserer Reisegruppe und wir schließen uns einem stetigen Strom von Menschen an, der Richtung Hauptbahnhof zieht.
Währenddessen anderswo in Dresden
Laut dem Bündnis Dresden-Nazifrei befinden sich inzwischen rund 10.000 Gegendemonstranten in der Stadt. Es zeichnet sich ab das die Strategie der Polizei die Elbe als natürliche Barriere zu nutzen gescheitert ist. Kleinere Spontandemonstrationen und größere Gruppen machen sich im Laufe des Vormittages aus der Neustadt auf in Richtung Hauptbahnhof.
Am DGB Gewerkschaftshaus am Schützenplatz hätte ursprünglich eine Mahnwache stattfinden sollen, wurde jedoch wegen der räumlichen Nähe zu den Aufmarschplätzen der Neonazis kurzfristig verboten. Stattdessen hält man dort jetzt eine Landesbezirksvorstandssitzung ab, an der auch verschiedene Bundespolitiker, darunter Gesine Lötzsch (Die Linke), Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Martin Dulig (SPD) und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann teilnehmen.
Hövelmann sagt gegenüber der Zeitung taz: "Wer sich die Situation anschaut, kann nur mit dem Kopf schütteln. Eigentlich müsste es andersherum sein. Der Staat müsste doch diejenigen schützen, die den Rechtsstaat schützen wollen." Die Situation sei insgesamt nicht ungefährlich. Denn die Präsenz der Neonazis werde in der Gesellschaft immer normaler, so Hövelmann weiter.
In der Südvorstadt wird die Situation zunehmend unübersichtlicher. Die Polizei, die bei einem kleineren Naziaufmarsch am 13.Februar noch rund 5.500 Einsatzkräfte ins Feld schicken konnte, hat aufgrund verschiedener Großveranstaltungen (wie etwa Fußballspielen) gerade einmal 4.500 Beamte in Dresden zusammenziehen können. Die Ordnungsbehörden konzentrieren sich darauf die Wege zum Nürnberger Platz und die Unterführungen des Bahndamms abzuschirmen.
Der Druck auf die Polizei wächst zusehends. Gegen 11 Uhr gelingt es Nazigegnern die Blockaden in der Bayreuther Straße zu überwinden. Erste Steine fliegen und die Polizei macht gebrauch vom Wasserwerfer. An der Technischen Universität wird Tränengas eingesetzt. In der gesamten Südvorstadt sind anscheinend kleinere Gruppen von Demonstranten unterwegs und versuchen Richtung Nürnberger Platz zu gelangen. An der Ecke Franklin-Straße/Strehlener Straße, südöstlich des Hauptbahnhofs haben sich mehrere Demonstranten gesammelt und wollen Richtung Bahnhof weiterziehen werden jedoch von der Polizei aufgehalten. Aufforderungen sich auf die Nordseite des Bahndamms zurückzuziehen bleiben Erfolglos.
Vor der Frauenkirche, der Kreuzkirche und zahlreichen weiteren Gotteshäusern finden Mahnwachen statt, an denen sich auch die Politprominenz beteiligt. Am Bahnhof Mitte wie auch nördlich des Hauptbahnhofs haben sich ebenfalls mehrere tausend Menschen gesammelt. Die Stimmung hier ist ausgelassen. Gegen Mittag ist klar, dass sich die Rechtsextremen am Hauptbahnhof sammeln werden. Größere Demonstrationszüge ziehen vom Bahnhof Mitte und aus Richtung Neustadt friedlich Richtung Wiener Platz.
Ganz anders die Situation in der Südvorstadt. In der Strehlener Straße und auf dem Münchner Platz, der nur wenige Meter vom Nürnberger Platz entfernt ist, haben sich erste Sitzblockaden gebildet, die zwar von der Polizei eingekesselt aber nicht geräumt werden. Wasserwerfer fahren auf. In der Reichenbachstraße brennen derweil die ersten Barrikaden und die Demonstranten versuchen sich zu sammeln.
12.00 – 13.00 Uhr, Hauptbahnhof, Nordseite
Auf unserem Weg in Richtung Hauptbahnhof haben sich versprengte Teilnehmer aus dem Nordthüringer Bus unserer Gruppe angeschlossen, darunter ein älterer Herr. Auf dem Wiener Platz sind schon von weitem größere Menschenansammlungen auszumachen. Während wir in einigem Abstand zu den Bahngleisen zum Bahnhof ziehen, kommt plötzlich Hektik auf. Mehrere Menschen kommen uns aus Richtung des Hauptbahnhofes entgegen gerannt und versuchen an einem unüberwachten Abschnitt des Bahndamms über die Gleise zu gelangen. Kurz wird überlegt ob man sich dem Durchbruchsversuch anschließen sollte, was jedoch schnell verworfen wird. Die Gruppe muss zusammenbleiben und dem älteren Herrn wäre diese Anstrengung nicht zuzumuten.
Die Polizei reagiert schnell. Von der nahen Brücke rasen Einsatzfahrzeuge heran und der Durchbruchsversuch verläuft im Sande. Schneebälle fliegen und das Gewaltpotential ist deutlich zu spüren. Die Lage bleibt zwar ruhig aber wir entscheiden dennoch, uns der Versammlung am Wiener Platz anzuschließen.
Zahlreiche Menschen sind hier unterwegs. Wie viele andere rasten wir und studieren noch einmal den Stadtplan. Inzwischen sollte auch der freie Radiosender coloRadio senden und über den Verlauf der Ereignisse informieren aber die mitgebrachten Handradios erweisen sich als nutzlos. Der Sender ist nicht zu empfangen. Auf dieser Seite des Bahndamms ist die allgemeine Stimmung friedlich und ausgelassen. Während über dem Platz ein Hubschrauber kreist, spielt unten ein kleines Blasorchester rhythmisch-schwungvolle Musik. Um 13 Uhr soll hier ein Konzert Konstantin Weckers stattfinden.
So gern wir auch dem Konzert gelauscht hätten: wir sind mit dem Ziel angereist den Aufmarsch des braunen Mobs zu blockieren und auf der Nordseite des Bahnhofs sind wir zur Untätigkeit verdammt. Bewegung hält an diesem kalten Samstag warm und nach einiger Zeit lassen wir Teile unserer Gruppe bei anderen Nordthüringern zurück und versuchen einen Weg vorbei an den Polizeiblockaden zu finden...
Anonymus
Was den Nordthüringern nach ihrem Aufbruch widerfuhr, lesen sie morgen im zweiten Teil des Erfahrungsberichtes