eic kyf msh nnz uhz tv nt
Fr, 07:00 Uhr
30.12.2016
Lichtblick

„Neues Jahr – neue Chance“

Nun werden Sie morgen wieder in den Himmel steigen, die vielen Raketen und Böller die am Himmel deutlich zeigen, wie schlecht es uns geht. Wir haben so wenig Wohlstand und es geht uns Deutschen so schlecht, dass wir uns Jahr für Jahr leisten können über 100 Millionen Euro in einer Nacht in die Luft zu schießen. Oder sollte ich sagen „aus dem Fenster zu werfen“?


Jedes Jahr werden Häuser, Menschen, Flora und Fauna dabei in Mitleidenschaft gezogen, ganze Innenstädte sind seitdem aus Angst vor Schäden „böllerfrei“.

Die wenigsten Menschen wissen, dass die Böllerei nicht nur ein „Heidenspaß“ ist, sondern einen handfesten Hintergrund mit großem religiösen Aberglauben hat: mit den Böllern soll(t)en die bösen Geister einst in China vertrieben werden. Die sich aufgeklärt dünkenden Menschen machen es einfach nach, obwohl Menschen mit Weltkriegserfahrung oder Personen aus den Ländern, in denen heute Kriege herrscht, und Tiere die Geräusche in höchstem Maße ängstigen.

Anzeige symplr
Sie erinnern sie fatal an wirkliche Bomben. An Bomben wie die von Augsburg, die dafür sorgte, dass 54.000 Menschen den 1. Weihnachtsfeiertag in Notunterkünften feiern mussten, bis die 1.800 kg schwere Bombe entschärft war. Was für ein seltsames Gebaren, freiwillig solches Unheil nachzuempfinden, vor dem Hunderttausende in aller Welt fliehen? Uns geht es wirklich schlecht!

2016 war ein Jahr, in dem Menschen trotz erwiesener Maßen vorhandener und geprüfter Argumente trotzdem behaupteten, dass es für alle möglichen Probleme nur eine Ursache gebe. Dabei bedienen sie sich einer merkwürdigen Strategie, die mit einem „Wort des Jahres“-Titel bedacht wurde: „kontrafaktisch“. Obwohl alle Argumente benannt, positive wie negative gewürdigt wurden und eindeutig keine eindimensionale Antwort dem jeweiligen Problem gerecht wird, ist gegen alle Vernunft die Antwort: „die Flüchtlinge“.
  • Wer trägt an der Wohnungsknappheit die Schuld? Die Flüchtlinge!
  • Wer bringt uns Kriminalität und Einbrüche? Die Flüchtlinge!
  • Wer sorgt für Krankheiten im Landkreis? Die Flüchtlinge!
  • Wer hat Schuld an den langen Arztsprechstunden? Die Flüchtlinge!
  • Wer bringt uns Elend und Armut? Die Flüchtlinge!
  • Warum bekomme ich keinen Job? Wegen der Flüchtlinge!
  • Wieso gibt es kein weißes Weihnachten? Wegen den Flüchtlingen!
Vielleicht nehmen Sie das (nur) in den letzten beiden Fragen überspitzt dargestellte Schema auch so wahr? Kaum wird ein Problem benannt, können wir, auch hier auf den Seiten dieser Internetzeitung, die Empörungen der „Besserwisser“ und Nicht-Gefragt-wordenen“ lesen, die dann meist auch schon vorsorgen und sich auf die Antworten und Einwendungen der vorsorglich als „Gutmenschen“ diffamierten Personen freuen. Was da häufig zu lesen ist, wirkt meist peinlich und ist ein Zeugnis für die Schreiber selbst und bedarf keiner Kommentierung.

Ich persönlich bin sehr dafür, dass jeder Mensch, wenn er sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt (und das tun manche der Schreiber nicht mehr, denn Meinungsfreiheit hört da auf, wo sie das Recht des anderen beschneidet oder andere verunglimpft), seine Meinung sagen darf, ob nun rechts oder links eingeordnet ist egal.

Jeder Mensch muss, wenn er Schuld auf sich lädt, rechtlich gewürdigt werden, d.h. ggf. bestraft oder verurteilt – mit allen Folgen. Das trifft auf In- und Ausländer zu. Jedwedes Problem unserer Gesellschaft aber nur einem Bevölkerungsteil in die Schuhe zu schieben, ist unredlich, infantil und zeugt von wenig Urteilsvermögen. Es ist zudem in höchstem Maße gefährlich, denn die Geschichte des dritten Reiches hat gezeigt, was daraus entstehen kann, was mit Hetze gegen eine Bevölkerungsgruppe begann.

Ich habe mich gefragt und das auch in einer meiner Predigten am Heiligen Abend, was gewesen wäre, wenn der Lastwagenfahrer in Berlin letzte Woche ein atheistischer Deutscher gewesen wäre, der einfach allgemein Frust auf die Menschen oder Weltschmerz hat? Wären wir Deutschen dann alle unter Generalverdacht gekommen?

Was ist das für eine merkwürdige „Logik“, wenn alles in Bausch und Bogen verurteilt wird, statt differenziert zu urteilen? Letzteres ist schwierig, denn so wie es bei Inländern böse und gewalttätige Menschen gibt (siehe Schlotheim und Unterwellenborn [Dez.], Nordhausen [Sep.], Hinternah [Mai]… alles Deutsche!), gibt es sie bei Ausländern auch. Das ist wahr und muss auch genauso schonungslos benannt und verurteilt werden wie bei Inländern. Warum aber wird immer wieder reflexartig diese Schiene bedient, wonach die anderen die Schuld tragen? Ich wünsche mir, dass das aufhört, es ermüdet, stumpft den wachen Verstand ab und bringt niemand weiter.

Mit dem neuen Jahr haben wir die Chance neu anzufangen und neu aufmerksam zu fragen, was wir konkret und je und je besser machen können?
  • Aufhören mit pauschalen und dumpfen Verdächtigungen. Anfangen mit konkreter und um Sachlichkeit bemühter Kritik.
  • Aufhören mit Schwarz-Weiß-Denken. Anfangen, die Nuancen des Lebens vielfarbig wahrzunehmen.
  • Aufhören mit dem Ablenken vom eigenen Tun, indem ich auf andere zeige. Wer mit ausgestreckten Finger auf andere zeigt, zeigt zugleich immer mit drei Fingern auf sich selbst. Ob das so jedem klar ist?
  • Aufhören, anderen sofort Schuld zuzuweisen ohne sie wirklich zu kennen. Viele der Flüchtlinge, die bei uns leben, sind redliche Menschen, so wie ein Großteil von uns. Es gibt bei Ihnen wie bei uns „schwarze Schafe“. Es bringt überhaupt nichts, sie alle „über einen Kamm zu scheren“. Viele der Protestierer wehren sich zu Recht, als Nazis denunziert zu werden. Das ist jedoch genau das gleiche Prinzip wie die Ausländer alle für Kriminelle zu halten. Beides ist falsch. Was dem einen recht ist, sollte für den anderen billig (im eigentlichen Wortsinn von „gerecht“) sein.
Ich verstehe gut, dass es vielen Menschen Angst macht, was in unserem Land passiert. Es wurden zweifelsohne Fehler gemacht. Es bringt nur nichts, das „denen da oben“ anzukreiden, denn die Situation war so nicht vorherzusehen und es wurde das Beste daraus gemacht. Welcher der Nörgler hat ein wirklich besseres Konzept vorgelegt, dass übernommen hätte werden können?

Bei all den Protestnoten fällt doch eines immer wieder auf, es wird festgestellt was falsch war, aber kaum einer bietet substantielle Vorschläge, die umsetzbar sind und zielführend wären. Nörgeln löst aber keine Probleme. Überall, wo man kulturelle „Reinheit“ sucht (nichts Anderes ist die Projektion unserer Probleme auf die Ausländer), entsteht Despotie, Zwang und Enge. Das hatten wir doch, GOTT sei es gedankt, hinter uns gelassen, zumal es nirgends auf der Welt durchsetzbar ist/wäre. Denn was ist konkret Deutsch? Unser Volk besteht seit Jahrtausenden aus vielen, sich mischenden Volksgruppen.

Die Geschehnisse von 2016 waren sogar ein hausgemachtes Problem, denn viele Monate zuvor wurde nur weggesehen, dass die Flüchtlinge Italien überrannten und alle ruhten sich auf Schengen II aus. „Ist ja nicht unser Problem“. Wenn Probleme ignoriert und die Augen vor Ihnen geschlossen werden, wenn nicht agiert wird, dann kommen sie über uns und wir können nur reagieren. Eine Einwanderungspolitik hätte über Jahr(zehnt)e hier wirklich am meisten geholfen.

Doch nun müssen wir das Beste daraus machen, aufhören uns gegenseitig zu beschimpfen und auszugrenzen. Ich wünsche mir in Land- und Kreistag, Landes- und Kreissynoden, in kommunalen und kirchlichen Entscheidungsgremien den Mut zur Differenziertheit. Die Probleme sind groß, jedoch verglichen mit vielen Teilen der Erde, nicht zu groß und durchaus lösbar. Die zu bohrenden Bretter sind dick, aber unser Handwerkszeug ist nicht schlecht. Wer für über 100 Millionen Böller Geld an einem Tag aus dem Fenster werfen kann, für den sind diese Probleme nur Kleinigkeiten.

Jedes Jahr gibt es einen Bibelvers, der über diesem Jahr steht, die sogenannte Jahreslosung. Im Jahr 2017 steht sie beim Propheten Hesekiel und lautet: „GOTT spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ Dieses Motto ist was wir benötigen. Wir brauchen einen neuen Geist, einen Geist der Versöhnung, der Verständigung, der Lösungssuche und der Zugewandheit. Viele Probleme sind lösbar, wenn wir gemeinsam nach Lösungen suchen und nicht im Beschreiben der Dinge verharren, die dagegensprechen oder hinderlich sind. Hören wir auf Stammtischparolen zu wiederholen, suchen wir nach dem gemeinsamen Weg und handeln wir gemeinsam im neuen Geist und mit einem erneuerten, nicht verhärteten Herzen. Das wäre ein echter Lichtblick für 2017. Meinen Sie nicht auch?
GOTTes Segen für das neue Kalenderjahr wünsche ich Ihnen,
Ihr Superintendent Kristóf Bálint

Kommentare sind hier nicht möglich
Autor: red

Kommentare

Bisher gibt es keine Kommentare.

Kommentare sind zu diesem Artikel nicht möglich.
Es gibt kein Recht auf Veröffentlichung.
Beachten Sie, dass die Redaktion unpassende, inhaltlose oder beleidigende Kommentare entfernen kann und wird.
Anzeige symplr
Anzeige symplr